Projekt Wintermond
erwähnt wurde, muss der sein, den wir suchen. Warum gehen wir nicht einfach zur Polizei?«
»Das wäre nicht ganz ungefährlich für uns, Jennifer.«
Der Zug verringerte die Geschwindigkeit, als er in einen Tunnel fuhr. Bald darauf jagte er am anderen Ende wieder heraus. McCaul ging zur Tür. Jennifer bekam es mit der Angst zu tun. »Wo gehen Sie hin, Frank?«
»So wie ich aussehe, kann ich mich kaum unter Menschen wagen. Mal sehen, wo die Toilette ist. Oder möchten Sie zuerst gehen?«
»Nein, ist schon okay.«
McCaul sah tatsächlich verboten aus. Die panische Flucht den Berg hinunter hatte ihre Spuren hinterlassen. McCauls Kleidung war verdreckt und zerrissen. Doch Jennifer wollte nicht alleine bleiben. McCaul schien es zu spüren. Er strich ihr übers Gesicht. »Keine Sorge. Vorerst sind wir in Sicherheit. Ich bin gleich wieder da. Lassen Sie die Tür geschlossen.«
Jennifer blieb allein im Abteil zurück. Sie musste immerzu an das Gemetzel im Kloster denken. Der Magen drehte sich ihr um.
Sie hatte das dringende Bedürfnis, Mark anzurufen und sich nach Bobbys Befinden zu erkundigen. Leider war das Handy trotz intensiver Suche nicht auffindbar. Vermutlich hatte sie es auf der Flucht verloren. Sie musste warten, bis sie Brig erreicht hatten; vorher konnte sie Mark nicht erreichen. Jennifer hoffte, dass er zu seinem Wort stand und sich um Bobby kümmerte. Verwirrt schüttelte sie den Kopf, als sie an das letzte Treffen mit Mark dachte. Man hätte beinahe glauben können, er hätte geahnt, was sie in Europa erwartete.
Wieder verringerte der Zug die Geschwindigkeit. Jennifer schaute aus dem Fenster und sah in der Ferne die Lichter eines Bahnhofs.
Der BMW hielt mit kreischenden Reifen auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof in Iselle. Gerade fuhr der Zug ein. Die beiden Männer stiegen aus. Der Fahrer schloss die Tür; dann rannten er und sein Kumpan auf den Bahnhof zu. Hinter dem Fahrkartenschalter saß ein gelangweilter Bahnbeamter.
»Si, Signore?«
»Zwei Tickets«, sagte der Blonde auf Italienisch und legte das Geld auf den Schalter.
»Wohin, bitte?«
»Brig.«
»Sie müssen sich beeilen. Das ist heute der letzte Zug nach Brig.«
Der Blonde grinste. »Da haben wir ja Glück gehabt.«
40
McCaul kehrte nach fünf Minuten ins Abteil zurück. Er sah wieder einigermaßen zivilisiert aus. Der Zug fuhr soeben vom Bahnsteig ab.
»Zuerst die gute oder die schlechte Nachricht?«, fragte McCaul.
»Ist das nicht egal?«
»Die nächste Toilette ist drei Wagen entfernt, und es gibt kein heißes Wasser. Dafür scheint sich der Sturm zu legen. Ich weiß nicht, ob der Zug einen Speisewagen hat. Soll ich mal nachsehen und uns einen Kaffee besorgen?«
Jennifer gingen die grausamen Bilder von Vater Angelo und den ermordeten Mönchen nicht aus dem Sinn. Galle stieg ihr in die Kehle. Sie stand auf. »Was ist?«, fragte McCaul. »Sie sehen mitgenommen aus.«
»So fühle ich mich auch. Ich gehe mich rasch frisch machen.«
Jennifer ging durch den Zug, bis sie die nächste Toilette fand. Zum Glück war sie nicht besetzt. Sie betrat die winzige Zugtoilette. Der Zug schaukelte leicht, als er wieder Geschwindigkeit aufnahm. Jennifer war speiübel.
Sie stellte sich vors Waschbecken, spritzte sich kaltes Wasser ins Gesicht und ließ es über ihre Handgelenke laufen.
Die beiden Männer durchquerten mit schnellen Schritten den Zug. Auf ihrem Weg durch die Waggons musterten sie jeden Fahrgast.
Jennifer atmete tief ein. Das Wasser kühlte ihre Handgelenke. Die Übelkeit ließ nach. Sie warf einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken, betrachtete die tiefen Ränder unter den Augen und das zerzauste Haar. Ich sehe schrecklich aus. Sie strich sich durchs Haar und schminkte sich die Lippen. Anschließend wischte sie den Schmutz aus ihrer Kleidung.
Es klopfte. Bevor Jennifer reagieren konnte, drehte sich der Griff, und die Tür sprang auf. Sie erschrak, als eine ungeduldige junge Frau hereinplatzte.
»Scusi, signorina. Finito?«
»Bitte?«
Die Frau plapperte munter weiter. Jennifer drehte das Wasser ab, trocknete ihre Hände mit ein paar Papierhandtüchern und ging hinaus.
Auf dem Weg zurück ins Abteil hatte ihre Angst sich nicht gelegt. Sie war angespannt, und ihr brummte der Schädel. Seit der Verfolgung im Kloster schossen ihr immer wieder dieselben Fragen durch den Kopf. Wer sind diese Männer, und warum wollen sie mich umbringen? Die Übelkeit kehrte zurück. Jennifers Brust war wie zugeschnürt. Sie brauchte
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