Projekt Wintermond
dringend frische Luft.
Am Ende des Ganges war ein kleines Fenster. Jennifer riss es auf und atmete gierig die kühle Luft. Die Einfahrt in einen kurzen Tunnel dämpfte das Rattern des Zuges. Vermutlich begann nun die Fahrt durch die zahlreichen Tunnel am Simplon-Pass. Eine plötzliche kräftige Brise ließ erkennen, dass sie den Tunnel wieder verließen. Der Sturm hatte nachgelassen. Jennifer genoss den kühlen Wind.
Sie sah, wie die Tür am anderen Ende des Wagens geöffnet wurde. Ein Mann trat ein. Er war blond, und über seinem rechten Auge zog sich eine dünne Narbe hin. Ihm folgte ein kräftiger, düsterer Kerl. Die beiden Männer trugen helle Regenmäntel und hatten harte, brutale Gesichter. Jennifer stockte der Atem. Diesen Männern stand die Menschenverachtung ins Gesicht geschrieben.
Jennifer geriet in Panik. Das mussten die beiden Killer aus dem Kloster sein. Wie hatten diese Kerle sie gefunden? Mit einem Mal fühlte sie sich schwach und hilflos. Fürchterliche Angst lahmte sie. Diese Männer waren entschlossen, sie zu töten, da gab es nicht den geringsten Zweifel.
Die Männer sahen sie und rannten auf sie zu.
Jennifer lief schreiend los.
41
Am Ende des Ganges drehte sie sich kurz um. Die beiden Männer näherten sich ihr. Jennifers Beine zitterten; ihr wurde schwindelig. Die Mienen der Kerle bestätigten ihren Verdacht.
Sie werden mich töten.
Sie riss die Tür zum nächsten Wagen auf und rannte weiter. Als eine Gruppe Schulkinder, die in Varzo eingestiegen war, ihr den Weg versperrte, stieg grelles Entsetzen in ihr auf. Die Kinder standen lachend und schwatzend auf dem Gang. Eines stand fest: Wenn sie sich unter die Schüler mischte, würde sie einige von ihnen mit in den Tod reißen. Die Männer würden niemanden verschonen, auch keine unschuldigen Jugendlichen, die ihnen im Weg standen.
»Scusi! Lassen Sie mich bitte durch!«, rief Jennifer und drängte sich durch die Gruppe. Die Jugendlichen musterten sie, als wäre sie verrückt. Jennifer starrte auf die Tür ihres Abteils, das zwanzig Meter entfernt war. McCaul war ihre einzige Chance. Er hat eine Waffe. Er kann uns beschützen.
Keuchend warf Jennifer einen Blick über die Schulter. Die Männer waren zehn Meter hinter ihr und drängten sich durch die Gruppe der Schüler. Jennifer erreichte die Tür zu ihrem Abteil und riss sie auf.
»Frank, helfen Sie mir!«
McCaul war verschwunden.
Jennifer blickte benommen ins leere Abteil. Wo war McCaul? Hatten die Männer ihn bereits ermordet?
Sekundenlang stand sie wie angewurzelt da. Die ausweglose Lage trieb ihr Tränen in die Augen. Ihre einzige Hoffnung, den Killern zu entkommen, schwand.
Plötzlich aber fiel die Panik von ihr ab und wich heißer Wut.
Du wirst kämpfen! So einfach machst du es denen nicht!
Jennifer rannte weiter. Die Männer hatten die Schülergruppe nun hinter sich gelassen. Auf ihren Mienen spiegelte sich kalte Entschlossenheit, als sie ihrem Opfer immer näher kamen…
Die junge Amerikanerin dachte fieberhaft über einen rettenden Ausweg nach. Sie riss die Tür zum nächsten Wagen auf und setzte ihre Flucht fort. Als sie hektisch in die einzelnen Abteile blickte, erstarrte sie. In diesem Teil des Zuges hielt sich kein einziger Fahrgast auf.
Niemand kann mir helfen. Ich bin diesen Killern ausgeliefert.
Auf beiden Seiten des Ganges waren Türen. Das obere Fenster einer Tür war geöffnet. Das dröhnende Rattern der Räder war überlaut. Die eisige Luft peitschte ihr ins Gesicht. Jennifer spielte mit dem Gedanken, aus dem Zug zu springen. Auf einer Seite der Bahnstrecke ragten die Berge auf, während auf der anderen Seite ein Abgrund gähnte. Die Geschwindigkeit betrug fast einhundert Stundenkilometer.
Weiter, weiter!
Als sie die nächste Wagentür aufriss, hörte sie schnelle Schritte hinter sich. Der glatzköpfige Killer tauchte auf, eine Maschinenpistole in der Hand, und stürzte sich auf sie. Jennifer taumelte und stieß mit dem Rücken gegen die Wagentür. Der Versuch, sich gegen den kräftigen Verfolger zur Wehr zu setzen, war zum Scheitern verurteilt. Er verpasste ihr eine schallende Ohrfeige und presste eine Hand auf ihren Hals. Keine Sekunde später stieß er ihren Kopf durchs geöffnete Fenster. Jennifer rang verzweifelt nach Atem, einer Ohnmacht nahe.
42
Der eisige Fahrtwind, der ihr durchs Gesicht fuhr, hielt sie wach. Der Angreifer drückte erbarmungslos zu. Jennifer zwang sich, die Augen offen zu halten und zu atmen. Sie hatte das Gefühl, ihr Hirn
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