Promenadendeck
brach Beate das verbissene Schweigen.
»Warum sagen Sie nichts?« fragte sie. »Wir wissen ja beide, warum wir hier stehen. Sie haben doch auf mich gewartet.«
10.
Es war, als habe Barbara Steinberg keinen Ton vernommen. Sie starrte weiter in das mondglänzende Meer und wandte auch nicht den Kopf zu Beate. Aber dann, ganz unvermittelt, sagte sie mit stockender Stimme: »Was wollen Sie von mir?«
»Das fragen Sie mich?« Beate Schlichter beugte sich etwas zu ihr. Jetzt sah sie deutlicher Barbaras Gesicht, ihre Augen, den Mund und verstummte sofort. Mein Gott, sie hat ja Angst! Tatsächlich, sie steht da, fast hilflos, wie ausgeliefert und in eine Gefahr gestoßen; sie weiß nicht, was sie tun soll. Ihr Schweigen ist keine Provokation, sondern der Ausdruck ihrer Furcht. Sie steht hier nicht, um zu kämpfen, sondern – sagen wir es mal etwas übertrieben – um sich zu opfern. Ja, sie hat ganz einfach Angst.
»Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen …« Barbaras Haltung hatte etwas Starres an sich.
»Sie lieben Dr. Paterna?«
Welch eine Frage. So direkt, wie ein Faustschlag – und er traf, wie Beate sah. Barbara zuckte zusammen.
»Ja«, antwortete sie und zögerte dann wieder. Sie drehte sich halb zu Beate um und musterte sie, nicht feindselig, nicht abschätzend, auf keinen Fall geringschätzig; es war eher Demut in diesem Blick. »Ich weiß, was Sie sagen wollen«, fuhr sie dann fort, und von Wort zu Wort wurde ihre Sprache schneller, »ich weiß es so genau, weil mein Vater genauso sprechen würde: Du kennst ihn ja erst einige Tage, du bist auf einem Schiff, du fährst durch Sonne und Fröhlichkeit … da sieht die Welt ganz anders aus als im grauen Alltag. In ein paar Wochen kommst du zurück, und dann gibt es keine Palmen mehr, keine weißen Strände am Korallensand, kein tiefblaues Meer und keinen unendlichen Himmel voll Sonne. Du wirst wieder in deinem Friseursalon stehen, von morgens um neun bis abends um sieben oder noch später, und dann tun dir die Beine weh, schwellen an, und du bist froh, wenn du dich auf die Couch legen kannst, die Füße hoch. Die Tageskasse war gut, aber du bist kaputt, restlos fertig. Wie weit ist dann der Pazifik! Wie unendlich fern die Südsee! Eine Erinnerung, bei der man seufzen kann, aber eben nur eine Erinnerung, für die man jahrelang gespart hat, Mark auf Mark, um einmal im Leben so etwas wie das Abenteuer der Weite zu erleben. Wer war Mario? Ach ja, Dr. Paterna, der Schiffsarzt. Ein paar Wochen Glück – was man so Glück nennt –, dann ein Händedruck, vielleicht auch noch eine Umarmung, ein Winken … und weg fährt der Bus zum Flugplatz. Vorbei, alles vorbei, denn nie, nie soll man sich daran klammern, was man beim Abschied sagt: Wir sehen uns wieder … ich komme dich besuchen … ich vergeß dich nicht … wenn du warten kannst, wird alles anders sein … Warten! Schon wenn der Bus abfährt, weißt du, dieses Winken ist das letzte, was du jemals von ihm siehst. So ist das Leben, nicht anders.« Sie strich sich über das hochgesteckte blonde Haar und schob eine Strähne aus ihrer Stirn. »Sie haben vielleicht alle recht, aber ich will es nicht glauben. Ich weiß nur: Ich liebe ihn.«
»Und Sie glauben, daß es gutgeht?«
»Daran denken Sie doch auch.« Über Barbaras Gesicht zog ein wehleidiges Lächeln. »Schwimmen Sie nicht auch auf einer Woge der Hoffnung? Ich weiß, Mario hat den Tag in Panama mit Ihnen verbracht, der Klatsch der Passagiere blüht, man sucht Sensationen auf dem Schiff und Gesprächsstoff, nachdem die einzelnen Gruppen mittlerweile alles voneinander wissen. Und es liegen noch Wochen vor uns … Ich weiß sogar, was Sie gegessen und getrunken haben.«
»Und ich weiß, daß Mario Sie hier auf dem Deck, in der Nacht, geküßt hat.«
Barbaras Kopf zuckte hoch. »Darüber spricht man schon?«
»Nein. Ich habe es gesehen, zufällig. Ich wollte auch auf Deck, und an der Tür dort drüben blieb ich stehen und bin dann zurückgegangen in meine Kabine. Ich empfand keinen Neid, nein, gar nichts. Damals war mir Dr. Paterna völlig gleichgültig. Ich wollte bloß nicht stören. Aber dann kam Panama, und seitdem sieht alles anders aus.«
»Noch plötzlicher als bei mir? Und da wundern Sie sich noch?« Barbara Steinberg schüttelte den Kopf. Eine stumme Antwort auf die eigene Frage. »Sie wollen, daß ich Mario freigebe?«
»Sie haben ihn ja noch gar nicht.«
»Sie noch weniger! Sollen wir uns seinetwegen duellieren? Kommen Sie mir nicht mit
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