Promenadendeck
daneben.
Der letzte, der entscheidende zwölfte Schuß. Mit schweren Schritten ging de Jongh zum Gewehrtisch. Dabei kam er an Fehringer vorbei und blieb kurz stehen.
»Es ist mir Wurscht, wer jetzt gewinnt«, sagte de Jongh ernst. »Wichtig ist nur, wer irgendwann mal den letzten Schuß hat. Und den habe ich!«
Gewehr in Ausgangsstellung – hopp – hochreißen und schießen …
De Jongh senkte den Kopf. Die Tonscheibe fiel unbeschädigt ins Meer. Vorbei.
Hans Fehringer trat nach vorn. Ruhig nahm er seine Flinte, lud sie, ließ das Schloß einschnappen und dachte dabei an Sylvia. Wenn er jetzt traf, war wieder alles unentschieden, und wenn Teyendorf nicht verfehlte, gab es ein dreifaches Patt … und zurück blieb de Jonghs bohrendes Rachegefühl. Was brachte das ein?
»Hopp!«
Viel zu spät riß Fehringer das Gewehr hoch, viel zu ungenau zielte er. Teyendorf, der neben ihm stand, sah genau, daß er sich kein bißchen konzentrierte, sondern den Schuß nur in Richtung Tonscheibe abgab, gewissermaßen ziellos. Mit einem Achselzucken trat Fehringer zurück, legte die Flinte auf den Tisch und sah de Jongh an.
»Zufrieden?«
»Ich brauche kein Geschenk von Ihnen!« bellte de Jongh heiser. »Ihr letzter Schuß war eine Flegelei!«
»Man macht Ihnen aber auch gar nichts recht!« sagte Fehringer voll Hohn.
Der letzte Schuß von Kapitän Teyendorf war ein Volltreffer. Hunderte von Passagieren brachen in Jubel aus und klatschten Beifall. Die Bordkapelle hämmerte einen dreifachen Tusch.
»Gratuliere, Herr Kapitän«, sagte de Jongh und gab Teyendorf die Hand. Dabei lächelte er säuerlich. »Gegen Sie zu verlieren, ist mir eine Ehre.«
Er drehte sich um und stapfte weg. Als er die Treppen hinaufstieg zum Sonnendeck, hatte er das Gefühl, daß alle ihn haßten. Er stellte sich neben Sylvia an die Reling und stupste sie mit dem Zeigefinger an.
»Komm mit!« sagte er rauh.
»Wohin?«
»In die Kabine.«
»Was willst du denn da?«
»Dich!« Er grinste böse. »Als Trostpreis.«
Sie antwortete nichts, drückte die Brille näher an ihre Augen und folgte ihm – mit gesenktem Kopf.
Callao sehen und erschüttert sein, das gehört zusammen.
Perus größter Hafen ist eine solche Ansammlung von Dreck und Schrott, daß man staunt, wieso hier Schiffe ganz normal beladen und entladen und nicht einfach von organisierten Banden ausgeraubt werden. Eine breite Autostraße führt vom abgesperrten Hafengebiet, das von Militär geschützt wird, in die 14 km weit entfernte Hauptstadt Lima, und links und rechts von ihr breiten sich die Elendsquartiere aus – Slums, wie sie sonst kaum auf dieser Erde zu sehen sind, Hütten aus Wellblech, auseinandergeschnittenen Benzinfässern, Holzlatten, Planen, Säcken und allem, was sich als Baumaterial eignet. Keine Kanalisation, keine Wasserleitung. Nur ab und zu am Rand der breiten Straße ein paar Wasserzapfstellen, an denen geduldig die Wasserträger stehen mit ihren Eimern, meistens Frauen und Kinder, und darauf warten, daß sie an die Reihe kommen. Die Männer, arbeitslos, ohne Hoffnung, zum großen Teil nicht einmal behördlich registriert, lungern am abgesperrten Hafen herum, ziehen durch Lima, suchen für ein paar Sols – so heißt die peruanische Währung – Gelegenheitsarbeit: Säcke schleppen, Schuppen reinigen, Fischkörbe tragen. Am freudigsten aber werden die Fremden begrüßt. Es ist wohl noch kein Schiff von Callao wieder ausgelaufen, ohne ein paar Verletzte an Bord zu haben. Überfallene, Beraubte, Zusammengeschlagene, mit Messern Traktierte. Die Polizei zu alarmieren, hat überhaupt keinen Sinn. Wer sich als Fremder außerhalb des abgesperrten Hafens bewegt, ist selber daran schuld, wenn etwas passiert.
Ein Erlebnis wurde an Bord der Atlantis von einem weitgereisten Mann zum besten gegeben, der nun schon zum viertenmal Callao besuchte; nicht freiwillig, sondern weil alle Schiffe, die an Südamerika herunterfahren, in Callao ankern, dem einzigen Hafen, von dem aus man bequem Lima erreichen kann. Und Cusco, die alte Inkahauptstadt. Die geheimnisvolle, vergessene Stadt Machu Picchu im Gebirge. Die gewaltigen Steinquaderruinen der Inkafestungen Sacsayhuaman. Und die heilige Quelle der Inkakönige.
Die Faszination des alten Inkareiches ist ungebrochen, und so pilgern jedes Jahr Hunderttausende in das Andenhochland von Cusco, ertragen tapfer die dünne Luft und begreifen voller Ehrfurcht die Größe der Inkakultur, die der spanische Konquistador Francisco Pizarro im
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