Promenadendeck
sind die Zahler, das Personal kann gefälligst warten.«
»Aber wenn …«
»Steig ein, Leonore!« rief der Arzt, schubste seine Frau auf den Sitz und sah dann den Fahrer teils triumphierend, teils erbittert an. »Sie haben doch wohl nicht die Stirn, meine Frau aus Ihrem Taxi zu ziehen? Na also! Nach der Beförderungsverordnung sind Sie verpflichtet …«
»Wir sind hier in Chile und nicht im paragraphengespickten Deutschland.«
»Ha!« Der Hamburger schob sich auf das Polster neben seine Frau und streckte die Beine aus. Hier bin ich, hieß das, und hier bleibe ich. Versuch mal einer, mich davon abzuhalten. »Man hatte gedacht, daß euer Staatschef General Pinochet endlich Zucht in die Bude bringt! Ich stelle dagegen fest: Er hat noch allerhand zu tun. Können wir denn nun endlich fahren?«
Der Fahrer schwieg, ging um seinen Wagen herum, setzte sich hinter das Steuer und fuhr ab. Ein wenig Traurigkeit lag in seinen Augen. Warum sind sie so, die Deutschen, fragte er sich. Warum tun sie alles, um sich im Ausland unbeliebt zu machen? Wo sie auftreten, demonstrieren sie die Herrenrasse. Warum nur? Ich bin doch auch ein Deutscher und schäme mich für sie. Den letzten Krieg haben sie verloren wie nie ein Volk vor ihnen, aber sie treten auf wie die Sieger, immer den schrecklichen Spruch im Hinterkopf: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.
»Wohin?« fragte er kurz.
»Wo's interessant ist.« Der Hamburger Arzt lehnte sich wie ein erfolgreicher Feldherr zurück. »Vor allem will ich mich überzeugen, daß unsere Presse, diese rot eingefärbte, Lügen über Chile verbreitet.«
Auf der Gangway stehend, sah Obersteward Pfannenstiel zu, wie sein vorbestelltes Taxi mit dem Hamburger Ehepaar abfuhr. Der Oberbootsmann, der zur Wache an der Gangway eingeteilt war, grinste breit.
»Da staunste, was? Unsere feinen, gebildeten Passagiere mit ihren guten Kinderstuben. Für die sind wir Scheiße.«
»Ausnahmen gibt's immer.« Pfannenstiel klopfte dem Oberbootsmann auf die Schulter. »Weggucken und an ein hübsches Weib denken! Es gibt ja noch mehr Taxen in Chile. Laß ihnen doch den Spaß, mit ihrem dicken Portemonnaie die Stärkeren zu spielen. Auch sie machen auf dem Lokus die Knie krumm.«
Aber er mußte dennoch über eine Stunde warten, bis neue Taxen aus der Stadt in das Hafengebiet fuhren. Die zehn Wagen, die gewartet hatten, wurden von den Passagieren gestürmt, und bei den beiden letzten gab es fast eine handgreifliche Diskussion zwischen zwei Ehepaaren um die Priorität der Eroberung. Die Verlierer waren tief empört und nannten die Sieger Flegel.
Am nächsten Morgen fand der große Abschied statt.
Matrosen und chilenische Hafenarbeiter schleppten die vor den Kabinen abgestellten Koffer und Taschen ab und luden sie auf Lastwagen. Eine Buskolonne fuhr an die Pier. In den Foyers und Bars des Schiffes trank man ein letztesmal gemeinsam und schwor sich gegenseitig, den guten Kontakt nicht abreißen zu lassen und sich in Deutschland zu besuchen, obwohl die meisten wußten, daß dies eine leere Rede war. Wenn man sich wiedersah, dann höchstens auf einer neuen Reise im nächsten Jahr, und dann wäre es Zufall. Eine Bordfreundschaft hält meistens nur so lange, wie man gemeinsam an Deck steht.
Dreihundertneunzehn Passagiere verließen die Atlantis. Kapitän Teyendorf ging von Bus zu Bus und grüßte die Abreisenden. Dann setzte sich die Buskarawane in Bewegung und verließ in langsamer Fahrt den Hafen von Valparaiso. Noch ein langer Blick zurück auf das herrliche weiße Schiff, das einem wie eine Heimat geworden war, auf die winkenden Weiterfahrer, begleitet von den Klängen der Bordkapelle auf dem Promenadendeck: Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn, bleib nicht so lange fort … Ein bißchen Wehmut beschlich einen doch, und dankbar gestand man sich, daß diese Fahrt wundervoll gewesen war.
Wir kommen wieder, MS Atlantis! Man hätte es vorher nie geglaubt, aber es ist so: Seefahrt macht süchtig nach Seefahrt!
Am Nachmittag landeten die neuen Passagiere auf dem Flughafen von Santiago de Chile, dreihundertsiebenunddreißig Menschen, mit Erwartungen randvoll gefüllt, ein Teil schon kräftig alkoholisiert – schließlich war man von Frankfurt bis Santiago über zwanzig Stunden in der Luft gewesen.
»Da kommt Carduccis Lebensunterhalt!« sagte Dabrowski bitter. Er lehnte neben Kapitän Teyendorf an der Brückennock und beobachtete die Ankunft. »Ich habe die neue Passagierliste durchgeackert … du meine Güte, sind da
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