Prophetengift: Roman
Stunden Schlaf bekommen, bevor er aufstehen musste, um seinem Vater zu helfen, sich für den Tag fertig zu machen, und danach seine Mutter zu pflegen.
Zumindest würde er sich nach dem Mittagessen ein Stündchen hinlegen können, weil sogar die Alzheimer-Erkrankung ihr nicht die lebenslange Gewohnheit genommen hatte, von eins bis zwei Siesta zu halten.
Mateo beschleunigte das Tempo, mit dem er das Lokal aufräumte und alles für die Frühstücksschicht bereitmachte: Er wischte die Flaschen mit der A-1-Steaksauce ab, packte neue Zucker- und Süßstofftütchen in die Behälter, füllte den Inhalt halbleerer Ketchup-Flaschen um und wickelte Besteck in die kratzigen blauen Servietten aus Baumwollmischgewebe. Es war fast Viertel nach zwölf, als er endlich damit fertig war.
»He, Judie. Können wir?«
Sie saß an einem Tisch und kontrollierte ihre Belege. »Mir fehlen fast dreißig Dollar. Ich muss feststellen, wo die abgeblieben sind. Geh ruhig schon ohne mich. Ich weiß ja, dass du früh hoch musst.«
»Ich warte.«
Ihr Stift erstarrte mitten im Kritzeln, als sie aufschaute. »Lieber, mir gehts gut. Aber du siehst ziemlich fertig aus.« Sie wies auf den Ausgang. »Geh einfach schon, okay?«
Ohne eine Antwort griff Mateo sich einen Lappen und begann die Kaffeemaschinen abzuwischen.
Judie seufzte. »Okay. Ich rechne es einfach morgen nach.« Sie begann ihre Quittungen einzusammeln. »Übrigens, wie gehts deiner Mutter? Ich vergesse ständig, danach zu fragen.«
»Wie immer«, erwiderte Mateo. »Sie begegnet mir jeden Morgen zum allerersten Mal.«
»Ist dein Vater immer noch dagegen, sie in ein Heim zu bringen?«
»Ja, und das kann ich ihm nicht verdenken. Warst du mal in einem dieser Pflegeheime?«
Judie schauderte. »Setzt mich einfach auf einen Eisberg und lasst mich aufs Meer hinaustreiben.«
»Find ich auch. Solange ich meinen iPod und ein Foto von Cristiano Ronaldo dabeihabe.«
Sie lachten, während Judie sich vom Tisch hochstemmte und ihre Handtasche holte, die in dem Schränkchen unter der Kasse lag. »In letzter Zeit ist echt nicht viel los, oder?«
»Allerdings.« Sie trotteten zum Ausgang, ihre klirrenden Schlüsselbunde in der Hand. »Ich hab heute Abend kaum fünfzig Dollar verdient.«
»Ich fast neunzig, aber ich hatte auch eine Doppelschicht. Manchmal habe ich den Eindruck, es lohnt sich kaum noch.«
»Kannst du laut sagen«, bekräftigte Mateo und schaltete das Licht aus.
Judie schob die Eingangstür auf. »He, was ist mit diesem Typen, von dem du mir erzählt hast? Trefft ihr euch am Wochenende?«
»Dominic ist einfach toll! Er hat mir heute bestimmt zehn
SMS geschickt.« Mateo trat durch die Tür und Judie ließ sie hinter ihnen ins Schloss fallen.
»Und was habt ihr am Wochenende so vor?« Sie steckte den Schlüssel ins Schloss.
»Samstag habe ich die Frühstücksschicht, also treffen wir uns zu einem späten Mittagessen im Nepenthe, und dann wollte ich ihm den Pfeiffer-State-Strand zeigen – du weißt schon, da, wo die kleine Straße sich zu den großen Felsen und Tidetümpeln runterschlängelt. Ich freu mich schon darauf, da einen schönen Sonnenuntergang mit ihm zu erleben.«
»Ich liebe diesen Strand.« Judie rüttelte fest am Türgriff, um sicherzugehen, dass abgeschlossen war. »Klingt wahnsinnig romantisch.«
»Ich hoffe nur, dass mir nicht das Herz gebrochen wird«, sagte Mateo. »Schon wieder.«
»Du musst es einfach probieren, Mattie. Und wenn er nicht der Richtige ist, ist es besser, du findest es so früh wie möglich heraus.«
Die beiden trotteten zu ihren jeweiligen Autos, die in einer Ecke des Parkplatzes standen: ihr alter weißer Toyota und der dunkelblaue Saturn, der mal Mateos Mutter gehört hatte.
Sie ließen die Motoren an und er fuhr hinter Judie aus dem Parkplatz und die Ocean Avenue entlang. Judie winkte zum Abschied, bevor sie Richtung Norden abbog, während Mateo, der Richtung Süden musste, auf dem Haupt-Highway blieb.
Er schaute auf die Tankanzeige.
Gut, dass die Chevron-Tankstelle da vorn noch offen hat.
Mateo fuhr auf die Tankstelle und parkte unter der hohen Metallüberdachung. Er stieg aus, schob seine Debitkarte in den Schlitz an der Zapfsäule, holte sie wieder heraus, gab seine PIN-Nummer ein, schob die Zapfpistole in den Tankdeckel des Saturn und tankte.
Während er wartete, hörte er hinter sich das harmonische
Surren breiter Reifen mit grobem, ausgeprägtem Profil. Ein riesiger schwarzer Geländewagen mit kleiner Ladefläche und
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