Prophetengift: Roman
das hintere Ende dann tief ins Wasser gedrückt wird und das Boot vollläuft.«
»Häh?«
»Egal. Mach einfach alles im Zeitlupentempo, dann klappt das schon.«
»Ich habs kapiert, glaube ich.«
»Jetzt schieb einfach die Gashebel nach vorn – ganz langsam zuerst – und wart ab, was passiert.«
Chuck ergriff mit der linken Hand das Lenkrad, legte die rechte Hand auf die Zwillingshebel und drückte sie ganz vorsichtig nach vorn. Augenblicklich verwandelte sich der Basston der Motoren in einen stetigen Bariton, um dann, als das Boot eine angenehme Geschwindigkeit erreichte, zu einem beruhigenden Alt anzusteigen. »Hey! Das ist einfach super!«
»Langsamer!«, rief Sebastian. Die Nachmittagsbrise hatte das Wasser kabbelig gemacht, und das Boot fing an, hart auf die Wellen zu schlagen.
Chuck schob die Hebel leicht zurück, und der Rumpf ging wieder in einen ruhigeren Rhythmus des Steigens und Fallens über, als wäre er auf einer Kinderachterbahn in einem Vergnügungspark befestigt. »Es ist wirklich nicht schwer, so ein Ding zu fahren«, rief Chuck mit stolzer, sorgenfreier Miene.
»Warte nur, bis du mit dem Boot an seinem Platz am Steg anlegen musst«, lachte Sebastian.
»Also, wo soll ich hinfahren?«
»Zieh einfach ein paar große, weite Kreise in der Bucht, damit du ein Gefühl dafür bekommst.«
Zehn Minuten später langweilte Sebastian sich und er bekam Hunger. »He, Chuck. Wir haben seit Bakersfield nichts mehr gegessen. Wie wärs, wenn wir zum Hafen zurückfahren und irgendwo was essen?«
»Klingt gut, mein Sohn. Willst du ans Lenkrad?«
»Nein, schon gut. Es ist eine gute Übung für dich, das Boot zum Anleger zurückzubringen. Ich helfe dir.«
»Alles klar.« Chuck begann mit einem langsamen, stetigen Wendemanöver und steuerte das Boot nordwärts über die Bucht.
Die Spätnachmittagssonne ließ die Wellenkämme glitzern wie unzählige Blitzlichter, und der Himmel hatte nicht mehr den grellen silbrigen Mittagsglanz, sondern war von einem tiefen Saphirblau. Die postkartenschöne Szene übte eine beruhigende Wirkung auf Sebastian aus. Und dass er jetzt einen Vater hatte – auch wenn der zugegebenermaßen ziemlich merkwürdig war –, einen Vater, den er sehen, hören und berühren konnte, mit dem er reden konnte, vermittelte ihm auf tiefe, sonderbare Weise ein Gefühl von Vollständigkeit. Dann dachte er an Reed und wie sehr er sich darauf freute, sie wiederzusehen. Es gab so
viel an ihr, was er aufregend und anziehend fand: ihre Ehrlichkeit ebenso wie ihre freche, sarkastische Art, ihre Augen, die sogar noch warmherzig und verständnisvoll blickten, wenn sie ihm eine Herausforderung an den Kopf warf, ihre Mischung aus Schüchternheit und außerordentlicher Selbstsicherheit. Sogar ihre Angewohnheit, in ihrem Essen herumzustochern, war liebenswert. Aber am allermeisten freute Sebastian sich auf das Gefühl, das er empfand, wenn sie an seiner Seite war – als wäre sein Herz von einem Licht erfüllt, das auch noch die schwärzesten Schatten aus seiner Seele vertrieb.
Sebastian grinste Chuck glückselig an und der ältere Mann spiegelte seinen seligen Gesichtsausdruck mit einem knittrigen Lächeln.
Da kam ein größerer Motorkreuzer in Sicht. Er war glänzend weiß mit einem breiten schwarzen Streifen oben am Rumpf, einer geräumig aussehenden geschlossenen Kajüte und einem zweiten Steuerstand auf dem Kajütdach. Er fuhr schnell und setzte mit Anmut und Leichtigkeit über die Wellen.
Der Kreuzer schien auf sie zuzuhalten, wich dann aber nach links aus und umsteuerte sie mit einem großzügigen Bogen, wobei er seitlich durch ihre Heckwelle schnitt.
Chuck winkte, aber die Frau mit der Sonnenbrille, die das große Boot steuerte, ignorierte ihn von ihrem Standort oben auf der Flybridge, ebenso wie der neben ihr sitzende Mann, der offenbar Zeitung las.
Sebastian, der gerade ein Paar Delfine entdeckt hatte und von Reed träumte, bekam nichts davon mit. Es war Dienstag, da steckte sie vermutlich längst tief in der neuen Uni-Woche. Sie hatten davon gesprochen, sich wieder zu treffen, wenn er nach L.A. zurückgekehrt war, und er überlegte, wo sie hingehen könnten. Er erinnerte sich an ein Lokal in Ballena Beach, das Kitty gefiel, das Jeffrey’s, und malte sich aus, wie er mit Reed bei Sonnenuntergang an einem der Fenstertische sitzen würde,
mit Blick auf den Ozean, während eine einzelne Kerze ihr schönes, lachendes Gesicht erleuchtete.
Wenn wir wieder im Hafen sind, rufe ich sie mal
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