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Prophetengift: Roman

Prophetengift: Roman

Titel: Prophetengift: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Nolan
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Meilen den Highway 46 entlanggefahren war, entdeckte er eine Tankstelle mit Supermarkt, die sich Blackwell’s Corner nannte. Sebastian steuerte seinen großen Wagen auf die Tankstelle, hielt bei der nächsten Zapfsäule und stellte den Motor ab. Nachdem er seine AmEx durch den Kartenleser an der Zapfsäule gezogen hatte, griff er nach dem Zapfhahn, hängte ihn in die Tanköffnung ein, drückte den Griff am Zapfhahn, bis er einrastete, und ging dann pfeifend quer über den Parkplatz auf den scheunenähnlichen Eingang des Ladens zu. Er genoss es, mal allein zu sein, und nahm an, dass er jetzt weit genug weg
von Los Angeles war, um endlich etwas Anonymität zu genießen.
    Im Laden stellte er fest, dass das ein Irrtum war.
    Die dicke Frau im dunkelblauen Kittel hinter der Kasse schaute zweimal hin, als er sich duckte, eintrat und auf die Regale mit den Snacks zusteuerte. Und als er seine Auswahl getroffen hatte und zur Kasse ging, entdeckte er, dass sich ein kleines Grüppchen versammelt hatte – zwei dicke Frauen, ein junges Mädchen und ein alter Schwarzer –, das stumm seine Annäherung verfolgte.
    »Hab was vergessen«, verkündete er der staunenden Gruppe.
    Er ging zur Abteilung mit den Drogerieartikeln, schnappte sich irgendein Haarfärbemittel und ließ es in seinen Einkaufskorb fallen. Dann kehrte er zur Kasse zurück, zog seine Kreditkarte durch den Kartenleser, wartete, bis die Tankstellenangestellte ihm die Quittung reichte, und trottete zu seiner Geländelimousine hinaus.
    Als er den ersten Gang zum Anfahren einlegte, entdeckte er im Rückspiegel das junge Mädchen. Sie stand direkt vor dem Laden und hielt mit einer Hand die Tür auf, in der anderen hielt sie ihr Handy, mit dem sie einen Schnappschuss von ihm machte.
    Sebastian trat aufs Gaspedal, und der starke V8-Motor heulte auf, während die Räder des Porsche Cayenne Staub aufwirbelten.
    Augenblicke später raste er über den Highway 46 der Sonne entgegen und fuhr zu dicht auf einen offenen Lastwagen mit einer Ladung Zwiebeln auf, die ihre papierdünnen Schalen in die Luft abgaben wie ein Zugabteil voller kaputter Federkissen.
    Die Zwiebelhäute wirbelten an der Windschutzscheibe vorbei wie Fragen, auf die es keine Antworten gab:
    Warum mache ich das?
    Wo gehe ich hin?
    Was soll ich bloß machen?
    Wie ist es dazu gekommen?
    Dann, wie so oft, erinnerte er sich an jenen Tag auf dem Schulhof. Er war damals in der fünften Klasse gewesen.
    Er hatte sich seit dem Mittagessen nicht wohl gefühlt, warum, das wusste er nicht. Vielleicht war eine Erkältung im Anmarsch, oder es lag an dem grauenhaften Rindfleischeintopf in der Schulcafeteria, der wie Durchfall über die Kelle labbrigen Kartoffelbreis sickerte. Jedenfalls hatte er auf das Kickballspiel verzichtet, bei dem er normalerweise während der großen Pause mitspielte, und sich auf eine Bank bei einem der Trinkwasserbrunnen gesetzt.
    Er hatte sich gerade gegen die Stuckwand gelehnt, als er ihre Stimmen hörte:
    »Komm, dem verpassen wir eine Abreibung. Wir machen es, bevor es klingelt.«
    »Was ist mit Mrs Carpenter?«
    »Ja, sie wird uns sehen.«
    »Mir egal. Ich hasse diesen kleinen Schwuli.«
    Sebastian schaute sich um, aber er konnte die Besitzer der Stimmen, die er erkannte – Anthony, Josh und Gabriel –, nirgends entdecken.
    Er massierte sich den Bauch durch das T-Shirt hindurch und konzentrierte sich auf das Tetherball-Turnier, das in der Nähe des Volleyball-Platzes stattfand.
    »Anthony stellt sich hinter ihn, damit er nicht weglaufen kann, und du schubst ihn.«
    »Vergiss es! Ich will ihm einen Knietritt verpassen oder ihm in die Fresse hauen.«
    »Ja, Gabriel, du verpasst ihm eine, und dann sagen wir, dass er angefangen hat.«
    Erschrocken stand Sebastian auf und schaute sich suchend um.
    Und da entdeckte er sie: Die Jungs waren unten bei der Cafeteria, viel zu weit weg, er konnte sie unmöglich hören, aber er sah, dass das Trio auf ihn zuhielt.
    Als Sebastian von der Bank aufstand, kamen die Jungs mit affenartiger Geschwindigkeit auf ihn zugerannt. Derweil hörte er weiter ihre Stimmen im Kopf, aber jetzt alle durcheinander: »War mal mein Freund ... hält sich für was Besseres ... will ihn heulen sehen wie ein Mädchen ... hasse ihn ... Heather mag ihn ... ich schlage fest zu, wie Papa  ...«
    Sebastian drehte sich um und begann zu laufen. Die drei Jungen sprinteten hinter ihm her.
    Sebastian raste über den Schulhof auf Mrs Carpenter zu und hatte sie fast erreicht, als der

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