Prophezeiung
Ende sitzt du einsam mit deiner Katze in einem Hartz-IV -Altenheim, und nicht mal die Pfleger hören dir mehr zu, wenn du von einer besseren Welt fantasierst. Aber du bist ja nicht blöd, im Gegenteil. Du weißt das alles. Und machst es trotzdem. Deshalb mag ich dich.«
»Verstehe. War doch nicht so nett.«
»Doch.« Er nickte. »Doch, nimm es als Ausdruck meines Respekts. Hey, vergiss nicht, wen du vor dir hast, ich bin bloß dieser sagenhaft erfolgreiche Egoist, und mit dem Geschäftsmodell Jesus 2.0 kriegst du von meiner Bank garantiert kein Risikokapital. Ändert aber nichts dran, dass du recht hast. Mit allem …«
Der Raiders March beendete seine Lobeshymne, bevor er Mavie noch weiter in Verlegenheit bringen konnte. Er sah auf das Display, drückte auf die grüne Taste und hielt sich den Apparat ans Ohr.
»Hey, Große! Wir singen gerade ein Loblied auf dich. Wie ist die Lage im öden Wiesbaden? Und keine Sorge, die nächste Station ist die Côte …«
Er verstummte und hörte zu. Sein Lächeln verschwand binnen Sekunden. Und machte einem skeptischen Gesichtsausdruck Platz, unter einer Stirn, die er, während er weiter zuhörte, in tiefe Falten legte, mit einer steil aufragenden zornigen Falte mittendrin, über der Nasenwurzel. »Gib mir deine Mutter«, sagte er dann, mühsam beherrscht.
Er wartete. Es dauerte eine ganze Weile.
Mavie sah ihn an, aber er erwiderte den Blick nicht, sondern starrte nach vorn, auf die Lehne des Sitzes vor sich.
»Sag mal, spinnst du?«, sagte er, ohne seine zukünftige Exfrau überhaupt zu begrüßen. »Bring die Kinder sofort …«
Mavie hörte Karla antworten. Sie verstand zwar nicht, was sie sagte, aber sie schrie offensichtlich mit voller Lautstärke in den Hörer.
»Dann ruf die Polizei, verdammt noch mal«, sagte Philipp. »Du kannst da nicht bleiben …«
Wieder hörte er zu. Diesmal fiel die Antwort offensichtlich nicht ganz so laut aus, aber seinem Gesichtsausdruck nach trotzdem nicht zufriedenstellend. Im Gegenteil.
»Karla, das kann doch nicht wahr sein«, sagte er wütend. »Diese bescheuerten Drecksbilder sind doch nicht wichtiger als die Kinder, verdammt.« Er ließ sie nur sehr kurz zu Wort kommen, dann sagte er gefährlich leise: »Ich hole euch da raus, ja, verdammte Scheiße, aber Gnade dir Gott, wenn Hannah und Max irgendwas passiert.«
Er legte auf.
»Was?«, sagte Mavie.
»Sie sind im Haus«, sagte er, ohne den Blick von der Lehne zu wenden. Dann sah er fragend auf seinen iAm. »Ich brauche einen Flug. Den nächsten. Wo ist diese Lisa, verdammt?« Während er auf dem Display zu tippen begann und sie sah, wie er via Browserdie nächsten Flüge von Genf nach Hamburg zu finden versuchte, fragte sie noch einmal nach.
»Ich denke, deine Familie ist nach Wiesbaden …?«
»Ja, dachte ich auch. Ist sie aber nicht. Der Stau beginnt schon kurz hinter Blankenese, das war ihr dann wohl doch ein bisschen zu viel, dann ist auch noch der Tunnel kurz nass geworden, nichts für Tiffy. Und auf dem Flughafen, nächster Versuch, herrscht sowieso Chaos, also ist sie gleich wieder umgekehrt, alles halb so schlimm, Kinder, aber sagt Papa nichts. Das ist ihr Lebensprinzip. Wenn ich was sage, egal was, nickt sie und macht das Gegenteil. Immer. Noch Fragen zu meinem Scheidungsgrund? Fuck «, sagte er, ließ den iAm sinken und legte den Kopf in den Nacken.
»Was?«
»Warteliste.« Er sah wieder auf das Display und tippte weiter Icons an.
»Nach Hamburg?«
Er nickte und murmelte vor sich hin. »Um neun, rappelvoll, wer will denn jetzt nach Hamburg, verdammt, wie blöd ist das, gibt aber nur zwei Flüge am Tag, und der nächste ist heute Abend. Scheiße, das geht doch alles nicht, über Paris oder Schiphol, zwei Stunden Aufenthalt, keine Chance, Leute.« Er sah auf. »Gut, egal, finde ich raus. Und wenn ich was chartere. Oder gleich mit der hier weiterfliege …«
»Können deine Frau und die …«
»Nein, eben nicht«, sagte er. »Das Auto steht bis zum Dach im Wasser, der Weg runter zum Haus ist eh unpassierbar, der halbe Süllberg fließt da als Schlamm die Treppen runter. Smarte Aktion. Seinen Fluchtwagen direkt in der Flut zu parken. Das ist aber nicht das Hauptproblem. Ein paar Konservendosen werden ja wohl im Keller sein, und wir haben einen Kamin. Und Kerzen. Wenn sie sich aufs Dach stellen, werden sie garantiert irgendwann evakuiert.« Er sah sie an und schüttelte den Kopf. »Das Problem sind die Typen auf dem Fluss. Deine afrikanischen Freunde steigen
Weitere Kostenlose Bücher