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Prophezeiung

Prophezeiung

Titel: Prophezeiung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Böttcher
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ihn fassungslos an.
    »Vornehme Zurückhaltung?«
    »Mademoiselle.« Sein Tonfall war für einen Augenblick unverschämt geduldig, aber er beließ es nicht dabei. »Haben Sie den Weg in die Klimaforschung lediglich eingeschlagen, weil Ihnen mangels Fantasie oder Talent kein besserer Weg offenstand, oder hatte Ihre Berufswahl mit einem genuinen Interesse an unserem Planeten zu tun, besser noch, Gaias Wohlergehen?« Er wartete Mavies Antwort nicht ab, sondern nickte sich selbst zu. »Sehen Sie, Letzteres. Ehrenwert, aber dann sind Sie sich doch auch im Klaren darüber, dass die achtzig bis hundert Millionen Klimafolgetoten, die wir alljährlich in der sogenannten Dritten Welt bereitwillig in Kauf nehmen, keine Katastrophe sind, sondern einSegen. Korrigieren Sie mich: Wären nicht demnach 200 oder 800 ein doppelter oder gar achtfacher Segen?«
    Mavie sah Milett an. Sie sah Philipp an und bemerkte fast erleichtert, dass auch dessen Mund leicht offen stand. Offensichtlich war sie nicht verrückt geworden. Aber Milett.
    »Das ist ein … Scherz?«, versuchte sie.
    »Ein Scherz? Das Ende der Menschheit, ein Scherz? Sie kennen die Zahlen – oder kennen Sie die nicht? Doch, die kennen Sie, sicher, Sie haben ja angeblich sogar studiert. Gaias Rücken trägt eine Anzahl Menschen, die erheblich kleiner ist als die derzeitige, und alle Probleme, derer wir vergeblich Herr zu werden versuchen, sind Probleme, die mit unserer Zahl zusammenhängen. Das Equilibrium ist noch in retrospektiver Sichtweite, es herrscht doch, mit Verlaub, Mademoiselle, kein Dissens, dass wir schon anno 1750 in deutlich ausreichender Menge vorhanden waren, um die Gattung zu erhalten. 850 Millionen atmende, Ressourcen verbrauchende Exemplare der Spezies Mensch! Und wie gründlich haben wir in den wenigen Hundert Jahren danach die Worte des Herrn befolgt, wie überaus fruchtbar waren wir, wie überaus ernst haben wir das Gebot »Mehret euch!« genommen! Wir haben uns verdoppelt! Nicht seit dem Pleistozän, sondern seit Kennedys Ermordung! Fast sieben Milliarden! Sechs Milliarden zu viel! Alle atmend, alle, vor allem, aus atmend, achtzig Millionen Menschen zusätzlich per anno, das sind fast 600 Millionen Tonnen mehr CO 2 per anno – und wollen diese Leute vielleicht auch noch etwas essen? Rinder gar? Rinder, die fröhlich flatulent auf Weiden grasen, wo vorher Wald stand? Ah! Welcher Wildwuchs!«
    »Verstehe«, sagte Mavie, vorsichtig nickend. »Das heißt, Sie hätten statt 800 Millionen lieber fünf Milliarden Tote?«
    »Als Anwalt Gaias: umgehend. Als Philanthrop: Ich bitte Sie!«
    Mavie hörte Philipps leisen, anerkennenden Pfiff von links. Sie wandte den Kopf und sah ihn grinsen.
    »Das meint der nicht ernst«, sagte er mehr zu Milett als zu ihr.
    Mavie sah wieder Milett an, der immer noch lächelte, nun allerdings marginal freundlicher. »Bedingt, mein Bester«, sagte er zu Philipp. »Ich bin durchaus der Meinung, dass diese Dezimierung unsere einzige Hoffnung darstellt, den Planeten weiter würdevoll bewohnen zu dürfen – aber ich bin, insofern haben Sierecht, nicht skrupellos genug, unterlassene Hilfeleistung bedingungslos gutheißen zu können, sei es auch zum Wohle des größeren Ganzen.«
    »Das heißt?«, sagte Mavie. »Sie helfen uns.«
    »Ich bin überzeugt, dass ich das nicht kann «, sagte Milett und klang hocherfreut. »Aber ich bin bereit, meine Überzeugungen dem kurzzeitigen Beschuss durch Ihre Argumente auszusetzen. Dabei sehen Sie mir jedoch bitte nach, dass ich hinsichtlich der Fundamente meiner Überzeugungen äußerst zuversichtlich bin. Sie schießen nicht auf meine erste Festung, sondern auf das Ergebnis jahrzehntelanger Baukunst.«
    Mavie brachte ein Lächeln zustande. »Ich schieße nicht mit Platzpatronen.«
    Milett erwiderte das Lächeln und wies mit dem rechten Arm auf die schwere Eichentür zu Mavies Linker. »Sollten Sie das tun, ließe ich Sie auch umgehend ans Freie setzen. Das Leben ist zu kurz für Langeweile. Aber machen Sie mir die Freude und schießen Sie im Sitzen, und gestatten Sie, dass ich Ihnen dazu ein Getränk herunterlasse, von den Festungsmauern.«
    Milett ging voran. Hinter der Eichentür zur Linken verbarg sich ein deckenhoch mit Bücherregalen ausgestatteter Raum, in dem man ohne Weiteres ein Tennismatch hätte veranstalten können, jedenfalls wenn man den Schreibtisch, das Stehpult und die Sitzecke vorher entfernt hätte. Durch die hohen Fenster blickte man hinaus über das Mittelmeer, wo gerade die

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