Psychopath
Er hat Sie beide zusammen in Utah gesehen.«
Clevenger wollte nicht glauben, was er da hörte. »Er hat uns beobachtet?«
»Das behauptet er zumindest. Was durchaus möglich ist. Er hat Ihnen gesagt, wo Sie Paulette Bambergs Leiche finden. Er hätte mühelos an Ihnen vorbeifahren können, als Sie am Tatort waren. Er könnte irgendwo in dem Wald gewesen sein. Er könnte Sie am Flugsteig abgepasst haben, als Sie angekommen sind.« Er hielt kurz inne. »Oder in Ihrem Hotel.«
»Er war so nah«, sagte Clevenger, und seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
»Ich rufe an, weil das FBI mich angewiesen hat, den Brief nicht zu veröffentlichen«, sagte Roland.
»Kane Warner?«
»Warner und Jake Hanley, beide.«
»Und?«
Roland räusperte sich. »Es gibt legitime Gründe dafür, Material nicht zu veröffentlichen – selbst Material, das so unwiderstehlich ist wie dieser Brief. Ich denke, wenn es polizeiliche Ermittlungen in Gefahr bringt, die so bedeutend sind wie im Highwaykiller-Fall, ist dieses Kriterium erfüllt.«
»Sie hätten nicht einfach den Teil, der sich auf McCormick und mich bezieht, weglassen können?«
»Ihn weglassen? Auf gar keinen Fall. Ich denke, er ist integraler Bestandteil dessen, was der Mörder zu sagen hat. Er scheint fixiert zu sein auf Ihre Verbindung zu Dr. McCormick. Ich bin kein Psychiater, aber ich halte es für bedeutsam,besonders angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass wir es mit einem Mann zu tun haben, der sehr wenige echte Bindungen hat, wenn überhaupt.«
Clevenger seufzte resigniert. Wie üblich lief alles auf Politik hinaus, selbst wenn es aus Kyle Rolands wortgewandtem Mund kam. »Wenn Sie den Brief nicht abdrucken, warum machen Sie sich dann die Mühe, mit mir darüber zu reden?«
»Ich habe ihn abgedruckt«, erklärte Roland. »Auf der Titelseite, oberhalb der Falzung, morgige Ausgabe.«
Clevenger spürte, wie seine Lebensgeister erwachten. »Was sollte dann das ganze Gerede, es könne die Ermittlungen gefährden?«, fragte er.
»Ich denke, es ist wichtig, dass Sie meine Beweggründe verstehen. Ich hätte den Brief zurückgehalten, wenn ich überzeugt gewesen wäre, dass er tatsächlich ein Hindernis für die Festnahme des Mörders darstellt. Aber das bin ich nicht. Ich denke, Kane und Jake versuchen, sich die Hände rein zu waschen und sich die Öffentlichkeit vom Hals zu schaffen. Und das reicht als Grund nicht aus, um etwas zu zensieren – nicht einmal für einen Freund.«
»Gute Entscheidung.«
»Hier also meine Frage: Werden Sie auf den Brief antworten, wenn das FBI nicht dahinter steht? Es würden dieselben Grundregeln gelten. Wir drucken nichts, was es diesem Kerl leichter machen würde, ungeschoren davonzukommen.«
Clevenger hatte das Gefühl, dass er unerwartet an eine Weggabelung gekommen war. Wenn er sich entschied, seine öffentliche Psychotherapie mit dem Highwaykiller fortzusetzen, würde er nicht nur sein eigenes Spiel spielen, er würde es ohne jegliche Rückendeckung tun. Und er würde an dem Fall arbeiten, während er gleichzeitig das Jugendamt und einen neuerlichen Ansturm der Presse abzuwehren hätte, der zwangsläufig mit Erscheinen des Boston Herald über ihn undBilly hereinbrechen würde. Ganz zu schweigen von dem Spaß, den die Boulevardblätter an seiner augenscheinlich im Keim erstickten Romanze mit McCormick haben würden. Doch trotz all dieser Gründe, Nein zu sagen, hörte er sich Ja sagen, und er fühlte sich gut dabei, als er es sagte. Gefestigt. Und er erkannte – nicht zum ersten Mal, aber vielleicht deutlicher als je zuvor –, dass er und seine Arbeit in dieser Welt untrennbar waren. Ein und dasselbe. Ein Element. Billy Bishops Vater war mit der forensischen Psychiatrie verheiratet. Man konnte es nennen, wie man wollte – einen Beruf oder eine Obsession oder eine Sucht. Das Etikett spielte keine Rolle. Die Motivation zu verstehen, wie Gewaltverbrecher gemacht wurden und was in ihren Köpfen vorging, war erhaben über alle Etiketten, über alle Werturteile, über die Vernunft. In diesem Leben war Frank Clevenger auf immer und unlösbar dazu berufen, wo immer es ihm begegnete, das Destruktive zu verstehen. Es würde keine Scheidung geben. Niemals.
»Ausgezeichnet«, sagte Roland. »Wenn Sie uns Ihre Antwort bis, sagen wir, ein Uhr morgen Mittag zukommen lassen, können wir sie am Donnerstag drucken.«
»Sie werden sie pünktlich auf Ihrem Schreibtisch haben«, versprach Clevenger.
»Dann lassen Sie uns morgen reden«, sagte
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