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Psychopath

Psychopath

Titel: Psychopath Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Ablow
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normal«, sagte McCormick, wohl wissend, dassihre Worte eher nüchtern denn mitfühlend klangen. »Leugnung ist ein Stadium der Trauer.«
    Pierce schmunzelte nachsichtig. »Das weiß ich«, sagte sie. »Ich habe ›Tod und Sterben‹ auf der Abendschule in Quealy belegt. Als ich dort einen Psychologiekursus gemacht habe. Ich behaupte nicht, dass sie nicht ermordet wurde. Was ich meine, ist, dass es Teile von ihr gibt, die nicht getötet werden konnten. Wie die Tatsache, dass ich sie vermisse und sie immer vermissen werden, die Tatsache, dass sie in mir ist und in meinen Töchtern Heidi und Tina.« Sie hielt kurz inne. »Mom ist nicht mehr da, körperlich. Ich kann sie nicht anfassen, nicht umarmen. Aber ihre Seele ist immer noch hier. Ich kann es fühlen. Ich glaube, das werde ich immer tun. Ich glaube, ich werde immer mit ihr reden können.«
    Eine Hälfte von McCormick war überzeugt, dass Pierce sich selbst belog. Ihre Mutter war schließlich unwiderruflich tot. Alles von ihr. McCormick hatte sie auf einem Edelstahltisch liegen sehen, mit eingeschlagenem Gesicht und durchschnittener Kehle. Doch die andere Hälfte von ihr wünschte sich, sie hätte die gleiche Gewissheit über ihre eigene Mutter, das gleiche Gefühl, dass ihre Mutter in ihr weiterlebte. »Sie werden bemerkenswert gut mit dem Ganzen fertig«, sagte sie. »Woher nehmen Sie die Kraft?«
    »Ich bin überhaupt nicht damit fertig geworden, glauben Sie mir«, erwiderte Pierce. »Ich kannte nur den einen Gedanken, dass ich ebenfalls sterben wollte. Ich wollte bei ihr sein. Anderthalb Tage bin ich nicht aus dem Bett gekommen. Dann hab ich mich mit diesem Arzt vom Krankenhaus getroffen, und ich habe angefangen, die Dinge anders zu sehen.«
    »Sie haben schon mit einer Trauerberatung begonnen?«
    »Das Krankenhaus hat es angeboten. Mir und allen, die im Imbiss arbeiten. Ich konnte nicht aufhören zu weinen, bekamkeinen Bissen herunter. Und als sie bei uns zu Hause angerufen haben, da hat meine ältere Tochter – das ist Heidi sie hat mich praktisch gezwungen, zu diesem Dr. Wrens vom Medical Center in Rock Springs zu gehen.«
    »Ein Psychiater?«
    Der Kaffee kam.
    »Ich glaube, das ist er«, sagte Pierce und trank einen Schluck von ihrem Kaffee. »Er ist jedenfalls irgendeine Art Therapeut.« Sie zuckte mit den Achseln. »Aber hauptsächlich ist er ein Wundertäter.«
    »Das ist ein ziemlich hohes Lob.«
    »Ich hätte nie geglaubt, dass mir irgendjemand in einer schweren Stunde wie dieser helfen könnte. Aber es war so, als würde er mich kennen ,ohne dass wir uns je begegnet wären. Besser als ich mich selbst kenne. Schließlich habe ich ihm Dinge erzählt, die ich noch nie jemandem erzählt habe.« Sie beugte sich ein wenig dichter heran und sprach leiser. »Er hat tatsächlich mit mir geweint.«
    McCormick spielte absichtlich ihre Intuition herunter, die Ahnung, dass sie die Geschichte über Wrens aus einem guten Grund hörte. Sie trank einen Schluck Kaffee. »Er hat mit Ihnen geweint?«, fragte sie und stellte ihre Tasse wieder ab.
    »Es klingt wirklich abgefahren, ich weiß«, sagte Pierce. »Aber das war es nicht. Nicht, wenn man dabei war. Ihm liegen die Menschen eben so am Herzen. Er hat meinen Schmerz gefühlt. Es hat ihm genauso wehgetan wie mir. Und irgendwie hat es dadurch weniger wehgetan.«
    »Innerhalb einer Stunde.«
    »Das Treffen war für eine Stunde angesetzt, aber ich war fast drei Stunden bei ihm. Er hat sich alle meine Erinnerungen an meine Mutter erzählen lassen. Was ich an ihr liebe. Was ich an ihr hasse. Die Streitereien, die wir hatten. Mein Lieblingsgeschenk von ihr. Ihr Lieblingslied. Lieblingsparfüm. Lieblingsgericht. Lieblingsurlaub. Lieblingsfilm. Alles. Und irgendwie ist alles in die richtige Perspektive gerückt.«
    »Was hat sich verändert?«
    »Ich habe erkannt, dass mich die Erinnerungen glücklich machen, nicht traurig. Dass sie noch immer bei mir ist, wie ich schon sagte. Dass sie immer bei mir sein wird.« Sie lächelte wehmütig. »Es hat natürlich nicht geschadet, dass er gut aussah. Und er hat eine unglaubliche Stimme. Sie versetzt dich in eine Art Trance.«
    »Ach?«
    »Er sieht nicht umwerfend aus – ich meine, er ist kein George Clooney oder Bruce Willis. Er sieht einfach nur richtig nett aus. Wie ein Gentleman. Da ist etwas an ihm, das sehr ... zärtlich ist.« Ihre Wangen und ihr Hals röteten sich. »Fast wie eine Frau – nicht, dass ich auf Frauen stehe, das tu ich nicht, ganz und gar nicht. Aber ...«

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