Psychopath
psychotisch. Wieso fragen Sie?«
»Dr. Wrens hat sich anscheinend bei wenigstens einer Gelegenheit als Phillip Keane vorgestellt – einer Frau gegenüber, die er kennen gelernt hatte.«
»Vielleicht wollte er ihr nicht sagen, wer er ist. Keanes Name fiel ihm wahrscheinlich als erster ein, also hat er ihn sich geliehen. Das ist nicht gerade die feine Art, schätze ich. Und ganz sicher nicht professionell. Aber es ist wohl kaum ein Fall für einen forensischen Psychiater.«
»Erinnern Sie sich noch, von welcher Agentur Wrens gekommen ist?«
»Tu ich. Aber lassen Sie mich zuerst Ihnen eine Frage stellen – warum suchen Sie nach ihm?«
Clevenger wollte nicht andeuten, dass Wrens ein Verdächtiger in dem Fall war, denn das war er nicht. Nicht offiziell. Nicht einmal rational. Er war der Fang, den ein blind ausgeworfener Köder aus einem Meer von Millionen Lesern der New York Times herbeigelockt hatte. »Wir haben einen anonymen Anruf erhalten, der behauptet, dass ein Arzt, auf den Wrens’ Beschreibung passt, möglicherweise im Besitz wichtiger Hinweise über den Highwaykiller ist.«
»Sie meinen, dass sich ihre Wege vielleicht gekreuzt haben, dass er ihn behandelt hat?«
»Möglich.«
»Nun, wenn irgendjemand diesem Irren helfen kann, dann Jonah«, sagte LeShan. Er kicherte. »Damit will ich natürlich nichts gegen Sie sagen.«
»Schon verstanden«, erwiderte Clevenger. »Was macht Wrens so außergewöhnlich?«
»Sie wissen ja, wie es ist. Entweder man hat’s oder man hat’s nicht. Er hat es im Übermaß. Die Gabe. Das dritte Ohr. Er hat Patienten, die mit niemandem sonst vom Personal geredet haben, dazu bekommen, sich zu öffnen. Und wenn wir es mit einem gewalttätigen Menschen zu tun hatten, dann hat keiner lange gefackelt, sondern gleich Jonah gerufen. Er musste nur auf einen total durchgeknallten Burschen zugehen, und schon hatte der sich beruhigt. Schlagartig. Ende der Diskussion. Es war etwas an seiner Ausstrahlung. Sehr beruhigend. Sehr stark.«
»Sie haben ihn gemocht – als Mensch, meine ich, von seinen professionellen Fähigkeiten einmal abgesehen.«
»Jeder hat ihn gemocht. Es ist nichts an Jonah, was man nicht mögen könnte. Sie werden es ja sehen. Wenn er Ihnen weiterhelfen kann, dann tut er es. So ist er nun mal.«
»Und von welcher Agentur kam er?«
»Communicare«, sagte LeShan. »Mit denen arbeiten wir praktisch ausschließlich zusammen. Die sitzen in Denver. Bleiben Sie einen Moment dran, ich besorge Ihnen die Nummer.«
Whitney McCormick hatte ihr Treffen mit dem Roten Kreuz auf den folgenden Tag verlegt, um abermals beim Rock Springs Medical Center vorbeizuschauen. Es war siebzehn Uhr fünfundvierzig, als sie den Summer neben der Eisentür zur geschlossenen Psychiaterie drückte.
»Ja?«, meldete sich eine Frauenstimme über den Lautsprecher.
»Mein Name ist Dr. Whitney McCormick. Ich hatte gehofft, dass ich vielleicht mit Dr. Wrens sprechen könnte.«
»Selbstverständlich. Er erwartet Sie.«
McCormick war etwas unbehaglich zumute, als sie das hörte. Pierce hatte offenkundig angerufen und Wrens Bescheid gesagt, dass sie vorbeikommen würde.
Eine Krankenschwester ließ sie herein und führte sie dann zu Wrens Büro. Sie klopfte an der Tür, erhielt keine Antwort und klopfte noch einmal lauter. Noch immer keine Antwort. Sie wollte gerade die Klinke herunterdrücken, als die Tür aufging.
»Dr. McCormick«, sagte Jonah. »Womit kann ich Ihnen dienen?«
McCormick bemerkte, dass sein Gesicht rot war, als habe er geschrien oder geweint. Nichtsdestotrotz war er genau so, wie Marie Pierce ihn beschrieben hatte. Ein Mann mit einer Stimme und einem Gesicht und einem Auftreten, die vollkommenes Verständnis suggerierten. »Es tut mir Leid, Sie zu stören«, sagte sie. Sie bemerkte sein gewelltes, silbernes Haar, die blauen Augen, die braunen Wildlederschuhe und den dunkelblauen Rollkragenpullover. »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich Ihnen einige Fragen stelle?«
»Ganz und gar nicht.« Jonah drehte sich um und trat wieder in sein Büro.
McCormick folgte ihm und ließ absichtlich die Bürotür offen. »Ich untersuche den Mord im Imbiss von Bitter Creek«, erklärte sie.
»Ein sinnloser Tod«, sagte Jonah. Er stand mit dem Rücken zu ihr und verstaute Bücher und Aktenordner in einem Karton auf seinem Schreibtisch.
»Sie haben Marie sehr geholfen. Es geht ihr schon viel besser.«
Jonah packte weiter ein.
»Ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht irgendetwas herausgefunden
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