Psychopath
es die Dinge nicht schlimmer machen würde, ob es nicht am Ende sogar dazu führen könnte, dass man völlig durchdreht?«
Clevenger nickte. Billy hatte Recht. Wenn man seine Schutzwälle abbaute und seine Dämonen konfrontierte, bestand immer die Chance, dass sie den Kampf gewannen. »Ich werde dich nicht anlügen«, sagte er. »Manchen Leuten passiert das. Manchmal ist der Schmerz zu groß, um ihn zu ertragen. Aber Leuten, die sich zusammentun, passiert das viel seltener – so wie du und ich uns zusammentun könnten. Sag mir, wenn dir danach ist, Drogen zu nehmen, statt welche zu nehmen, unterhalte dich mit mir, wenn du an einem Tiefpunkt bist, statt wenn du high bist, dann können wir diese Schlacht gewinnen.«
»Aber du bist nicht mein Seelenklempner«, sagte Billy.
Clevenger fragte sich kurz, ob Billy endlich darum bat, zu einem Therapeuten zu gehen, etwas, womit Clevenger ihm schon so lange in den Ohren lag. Doch dann erkannte er, dass Billy um mehr als das bat. »Nein«, sagte er, »ich bin nicht dein Therapeut. Ich versuche, dein Vater zu sein.« Er sah, wie Billy schwer schluckte – was entweder bedeutete, dass ihn Clevengers Worte berührt hatten oder dass er die Rührung vorspielte. »Also sag mir, wo ich dich hinfahren soll, Kumpel. Es ist deine Entscheidung. Ich kann dich am Einkaufszentrum absetzen, dich zurück zum Loft mitnehmen oder rüber zu Strasnicks Labor fahren. Wofür du dich auch immer entscheidest, ich stehe weiterhin einhundertzehnprozentig hinter dir.«
»Wofür brauchen wir das Labor noch?«, fragte Billy. »Ich hab dir bereits gesagt, was der Test zeigen wird.«
»Es ist noch zu früh dafür, dass ich mich allein auf dein Wort verlassen kann. Es gibt jede Menge andere Drogen, die du nehmen könntest. Ohne den Test muss ich mir weiterhin Sorgen machen, ob ich wirklich weiß, wogegen wir anzutreten haben. Und darauf kann ich gern verzichten.«
Billy schaute aus dem Beifahrerfenster. Er dachte, dass er Clevenger wirklich viel schuldig war. Er dachte, dass Clevengers Worte einen Sinn ergaben – die Teile, die er verstanden hatte, jedenfalls. Aber hauptsächlich dachte er, dass er sowieso schon alles zugegeben hatte, was er nahm, abgesehen von Ecstasy hin und wieder. Und das hatte er seit rund einer Woche nicht mehr eingeworfen. Also würde es sich eindeutig nicht bei dem Drogentest nachweisen lassen. Und er hatte Casey bereits gesagt, dass er erst später an jenem Abend zum Einkaufszentrum kommen könnte. Also hatte er im Grundenicht viel zu verlieren, wenn er sich ein bisschen Blut und Urin abzapfen ließ. Er drehte sich zu Clevenger um. »Lass uns zum Labor fahren«, sagte er.
7
Nach Mitternacht, 23. Februar 2004
Canaan, Vermont
Es war fast ein Uhr früh, doch Jonah verspürte kein Bedürfnis zu schlafen. Er lag ausgestreckt auf dem Bett, nur mit seiner Jeans bekleidet, und schaute lächelnd an die Decke. Die makellos modellierten Muskeln seines Brustkorbs, seiner Schultern, seiner Arme und seiner Beine zuckten vor Erregung. Die Wohnung war noch immer fremd für ihn, noch immer befreiend für ihn. Die Anonymität der Räume – die kahlen Wände, die neuen weißen Bettbezüge und Handtücher, der frisch gereinigte beigefarbene Teppichboden, die Plastikteller und die Plastikbestecke, die Vinylcouch und der furnierte Esstisch – gab ihm das Gefühl, neu geboren zu sein. Niemand in dem Apartmenthaus kannte ihn. Niemand entlang der drei Meilen langen Strecke zum Krankenhaus kannte ihn. Während der Wochen, seit er nach Canaan gekommen war, hatte er kein Telefon oder Kabelfernsehen anschließen lassen und keine Zeitungen abonniert. Er aß entweder in der Krankenhauskantine oder holte sich was von dem chinesischen Restaurant zwei Blocks von seiner Wohnung entfernt oder vom Canaan House of Pizza um die Ecke.
Michelle Jenkins hatte noch zwei weitere Male versucht, sich mit ihm zu verabreden, doch er hatte beide Male höflich abgelehnt. Er brauchte keine Frau. Er betreute inzwischen acht Patienten, die ihn nicht nur mit ihrem eigenen Schmerzdurchdrangen, sondern auch mit dem Schmerz ihrer problembeladenen Väter und Mütter und Geschwister, die zu Familientreffen in die geschlossene Abteilung kamen. Aus acht Lebensgeschichten wurden schnell sechzehn, dann zweiunddreißig, dann vierundsechzig. Jeder Arbeitstag war eine Nonstoporgie des Leidens.
Es befriedigte Jonah vollauf.
Er verschränkte seine Finger im Nacken, schloss seine Augen und dachte an die sechsjährige
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