Psychopathen
kommen. Und damit die Kompassnadel sich noch schneller dreht, bringt Larry ein weiteres existentielles Rätsel zur Sprache.
»Aber es geht nicht nur um Funktionalität, oder?«, meint er. »Die Sache mit der Angst oder wohl eher mit dem, was
ich
unter Angst verstehe – denn um ehrlich zu sein, ich glaube nicht, dass ich je Angst gehabt habe –, ist doch die: In den meisten Fällen ist sie völlig ungerechtfertigt. Wie heißt es so schön? Neunzig Prozent der Dinge, über die die Menschen sich Sorgen machen, passieren nie. Was soll das Ganze dann?
Ich glaube, das Problem ist, dass die Leute so viel Zeit damit verbringen, sich Gedanken darüber zu machen, was passieren könnte, dass sie völlig die Gegenwart aus den Augen verlieren. Sie übersehen einfach die Tatsache, dass im Moment alles vollkommen in Ordnung ist. Ganz deutlich wird das bei dieser Verhörgeschichte. Was hat dieser Typ dir noch gesagt? Nicht die Gewalt macht dich fertig, sondern die Androhung von Gewalt. Warum also nicht im Augenblick leben?
Ich meine, denk mal darüber nach. Wie Jamie gesagt hat: Als du unter diesem Betonklotz gelegen hast – oder dem, was du für einen Betonklotz gehalten hast –, ist dir eigentlich nichts Schlimmes passiert, oder? Okay, ein Himmelbett wäre vielleicht bequemer gewesen. Und wenn du geschlafen hättest, hätte das auch nichts an der Situation geändert.
Was dich wahnsinnig gemacht hat, war deine Fantasie. Dein Gehirn befand sich im Schnellvorlaufmodus und du hast dir alle möglichen Katastrophen vorgestellt, die passieren könnten. Aber nicht passiert sind.
Der Trick ist also der, dein Gehirn wann immer möglich davon abzuhalten, dir vorauszueilen. Wenn du das konsequent tust, wirst du dich früher oder später auch von der Vorstellung verabschieden, dass du immer mutig sein musst.«
»Du kannst deine Fantasie aber auch zu deinem Vorteil nutzen«, schaltet sich Danny ein. »Wenn du dich das nächste Mal in einer Situation befindest, die dir Angst macht, dann denk einfach: Angenommen, ich würde mich
nicht
so fühlen. Was würde ich dann tun? Und dann tu es einfach.«
Guter Rat – wenn man den Mumm hat, ihn zu befolgen.
Wenn man Jamie, Leslie und Danny so zuhört, könnte man glatt meinen, man säße drei alten Buddhisten gegenüber, die schon ein großes Stück des achtfachen Pfads zum Nirwana zurückgelegt haben. Natürlich haben sie das nicht. Doch die Gedanken in der Gegenwart zu verankern und sich ausschließlich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren, ist eine Disziplin sowohl der Psychopathie als auch der spirituellen Erleuchtung.
Mark Williams, Professor für klinische Psychologie am Department of Psychiatry der University of Oxford, bezieht dieses Prinzip des Sich-Zentrierens in sein Programm der achtsamkeitsbasierten kognitiven Verhaltenstherapie (CBT) für Menschen mit ein, die unter Ängsten oder Depressionen leiden. 138
»Achtsamkeit ist im Grunde genommen Buddhismus mit poliertem Holzfußboden, oder?«, nehme ich Mark in seinem Büro im Warneford Hospital auf den Arm.
Er bietet mir ein klebriges Rosinenbrötchen an.
»Sie vergessen die Scheinwerfer und den Plasmafernseher«, kontert er. »Aber Sie haben natürlich recht, in einem Großteil der Theorie und Praxis spürt man den Einfluss des Ostens.«
Mark nennt mir ein Beispiel dafür, wie die achtsamkeitsbasierte kognitive Verhaltenstherapie jemandem dabei helfenkönnte, eine Phobie zu überwinden. Wie z. B. die Angst vorm Fliegen. Jamie, Leslie und Danny hätten es nicht besser ausdrücken können.
»Eine Möglichkeit«, erklärt Mark, »wäre vielleicht die, den Betreffenden in ein Flugzeug zu bringen und neben jemanden zu setzen, der es einfach liebt, hoch oben in der Luft zu sein. Während des Flugs führen Sie dann bei beiden einen Gehirnscan durch. Der eine zeigt ein glückliches Gehirn, der andere ein ängstliches. Ein Gehirn im völligen Angstzustand.
›Diese beiden Bilder‹, sagen Sie ihnen, ›repräsentieren genau das, was im Moment, in ebendiesem Augenblick, in Ihren Gehirnen vor sich geht. Und da sie so unterschiedlich sind, bedeutet offensichtlich keins von beiden irgendetwas, oder? Keines sagt etwas über den Zustand des Flugzeugs aus.
Diese
Wahrheit können uns nur die Motoren verraten. Das Einzige, was diese Bilder repräsentieren, die Sie da in Händen halten, ist ein Gehirnzustand. Ein Gefühl. Nicht mehr und nicht weniger. Was Sie fühlen, ist nichts weiter als das: ein Gefühl. Ein neuronales Netzwerk, ein
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