Psychose: Thriller (German Edition)
machen kannst. Er erkennt deine Fehler noch nicht. Er sieht dich mit nichts als Liebe an, und das wird nicht anhalten, also genieße es, solange du kannst.«
Ethan denkt oft an dieses Gespräch zurück, vor allem wenn er nachts im Bett liegt und alle anderen schlafen. Wenn sein Leben mit Lichtgeschwindigkeit an ihm vorbeirauscht, wenn er die Last der Rechnungen, der Zukunftssorgen, seiner begangenen Fehler und all der Momente, die er verpasst hat, spüren kann - all die verlorenen Freuden, die sich wie Felsbrocken auf seine Brust legen.
»Können Sie mich hören? Ethan?«
Manchmal hat er das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.
Manchmal kommen seine Gedanken so schnell, dass er die perfekte Erinnerung finden muss.
Um sich daran festzuklammern.
Wie an ein Schlauchboot.
»Ethan, ich möchte, dass Sie sich auf meine Stimme konzentrieren und sich damit wieder ins Bewusstsein zurücktragen lassen.«
Er geht sie wieder und wieder durch, bis die Angst nachlässt, die Erschöpfung einsetzt und er endlich untertauchen kann.
»Ich weiß, dass es schwer ist, aber Sie müssen es versuchen.«
In den einzigen Teil seines Lebens, der ihm Frieden bringt …
»Ethan.«
Träume.
Er riss die Augen auf.
Ein helles Licht leuchtete ihm ins Gesicht, ein kleiner, fokussierter Punkt aus strahlendem, blendendem Blau.
Eine Stiftlampe.
Er blinzelte und das Licht verschwand. Als er die Augen wieder öffnete, sah ihn ein Mann, dessen Gesicht dicht vor ihm schwebte, durch eine Brille mit Goldrahmen an.
Kleine, dunkle Augen.
Rasierter Kopf.
Ein silberner Bart war das einzige Merkmal, an dem sein Alter erkennbar war, da seine Haut ansonsten glatt und rein war.
Er lächelte und zeigte dabei kleine, perfekte Zähne.
»Können Sie mich jetzt hören?«
Der Tonfall des Mannes klang formell und sehr höflich.
Ethan nickte.
»Wissen Sie, wo Sie sind?«
Ethan musste einen Augenblick nachdenken – er hatte von Seattle, Theresa und Ben geträumt.
»Fangen wir mit etwas anderem an. Wissen Sie, wie Sie heißen?«, fragte der Mann.
»Ethan Burke.«
»Sehr gut. Und jetzt noch mal: Wissen Sie, wo Sie sind, Ethan?«
Die Antwort lag ihm auf der Zunge, aber er war auch verwirrt, da sich gleich mehrere Realitäten aufdrängten.
In einer war er in Seattle.
In einer anderen in einem Krankenhaus.
In einer dritten in einer idyllischen Bergstadt namens … An der Stelle, an der sich der Name befinden sollte, klaffte ein Loch.
»Ethan.«
»Ja?«
»Wenn ich Ihnen erzähle, dass Sie in Wayward Pines im Krankenhaus liegen, klingelt da was bei Ihnen?«
Da klingelte nicht nur etwas – auf einmal fiel ihm alles schlagartig wieder ein, als hätte ihm ein Boxer einen direkten Treffer verpasst, und die Erinnerung an die letzten vier Tage war in der richtigen Reihenfolge wieder da, sodass er glaubte, alle Ereignisse chronologisch einordnen zu können.
»Okay«, antwortete Ethan. »Okay, ich erinnere mich.«
»An alles?«
»Ich glaube schon.«
»Was ist das Letzte, woran Sie sich erinnern?«
Es dauerte einen Moment, bis er die Frage beantworten konnte, da er erst die Spinnweben von den Synapsen wischen musste, aber er fand sie.
»Ich hatte schlimme Kopfschmerzen. Ich saß auf dem Bürgersteig an der Main Street und …«
»Sie haben das Bewusstsein verloren.«
»Genau.«
»Haben Sie immer noch Kopfschmerzen?«
»Nein, die sind weg.«
»Mein Name ist Dr. Jenkins.«
Der Mann schüttelte Ethan die Hand und setzte sich dann auf einen Stuhl neben das Bett.
»Was für ein Arzt sind Sie?«, wollte Ethan wissen.
»Ich bin Psychiater, Ethan. Ich möchte, dass Sie mir ein paar Fragen beantworten, wenn das für Sie in Ordnung ist. Sie haben einige interessante Dinge zu Dr. Miter und der Krankenschwester gesagt, als man Sie hergebracht hat. Wissen Sie, worauf ich anspiele?«
»Nein.«
»Sie erwähnten eine Leiche, die in einem Haus hier in der Stadt liegen würde. Und dass Sie nicht mit Ihrer Familie sprechen konnten.«
»Ich erinnere mich nicht daran, mit dem Arzt oder der Schwester gesprochen zu haben.«
»Sie waren zu der Zeit im Delirium. Hatten Sie schon mal eine psychische Erkrankung, Ethan?«
Ethan hatte völlig waagerecht im Bett gelegen.
Jetzt setzte er sich mühsam auf.
Durch die zugezogenen Vorhänge drang ein wenig Licht.
Draußen war es hell.
Irgendwo tief in seinem Inneren war er froh darüber.
»Was ist das denn für eine Frage?«, entgegnete Ethan.
»Eine, die ich Ihnen stellen muss. Sie sind hier gestern
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