Pubertät – Loslassen und Haltgeben
der Faust auf den Tisch. «Aber bevor ich abgeh, mach ich noch was auf. Die sollen merken, was sie für ’n Scheiß gebaut haben.» – «Wer sind ‹sie›?», frage ich. «Alle!», schreit er laut: «Alle!» Arthur ist für seine Gefühlsausbrüche gefürchtet. «Mal», so erzählt seine Mutter, «schläft er nach diesen brutalen Filmen gleich ein, wie ein Baby liegt er dann da. Aber dann», sie zögert, «wenn ich sein Moped hör, wie er nach solchen Filmen wegfährt, dann weiß ich, jetzt gibt’s Ärger. Ich kann ihn wieder bei der Polizei oder bei der Feuerwehr abholen.» Immer, wenn Arthur getrunken hat, wird er Rambo, «so als ob er bei mir steht und sagt: ‹Komm, komm, Arthur, du musst kämpfen›». Arthur fährt dann außerhalb des Dorfes, klettert auf einen Starkstrommast, hat seinen «Blaster» mitgebracht und spielt Kassetten, meist Songs von Peter Maffay. Bekommt er keine Aufmerksamkeit, kann es passieren, dass er wieder hinunterklettert. Kommen Dorfbewohner, fängt er an, sie zu beschimpfen, zu beleidigen, verbunden mit der Drohung, hinunterzuspringen. Erst wenn sein Lehrer, der auch Leiter der örtlichen Feuerwehr ist, kommt, entspinnt sich ein Gespräch, ist Arthur bereit, hinabzusteigen. Das Ritual wiederholt sich in regelmäßigen Abständen. Arthur stellt sich als Außenseiter dar, «und das ist gut so. Nur als Außenseiter bist du wer. Da nehmen sie dich endlich ernst.»
MIRKO – «Ich gehe immer bis an die Grenze.»
Bevor Mirko Autos knackt, sieht er sich Western mit John Wayne oder alte amerikanische Krimis an. «Die beruhigen mich, sind wie ’ne Droge. Tja», überlegt er, «in den Filmen geht es immer gut aus.» Manchmal heult Mirko am Ende. «Wie ein kleiner Hund, so richtig fertig bin ich davon. Und dann denk ich, wer heult um mich, wenn ich tot bin?» Er sieht mich fragend an. «Ehrlich, wer weint um mich?»
«Wer?»
«Ich weiß es nicht. Ich möchte auch mal im Film sein, wenigstens einmal.»
Mirko ist 14 Jahre und bei der Polizei als «Autokid und Crashspezialist» bekannt.
«Ich knacke Autos, damit ich lebe.» Wie er das meine, will ich wissen. Er wolle was spüren, was ganz Starkes spüren. «Nicht das Knacken ist wichtig, aber der Rausch beim Fahren. Ich gehe immer bis an die Grenze, die absolute Grenze, und manchmal, wenn so ’n Brückenpfeiler kommt, möcht ich draufhalten, aber ich tu’s nicht.» Er wird leise. «Noch nicht.» Seine Eltern kümmern sich nicht um ihn, sagt er: Der Vater fahre zur See («Der kommt jedes Jahr einmal!»), die Mutter beschäftige sich mit der kleinen Schwester. «Ich laufe nebenher. Ob ich nun lebe oder nicht (…). Was macht das schon?» Und an einer anderen Stelle des Interviews sagt er: «Wenn ich so rase, und dann kommen die Lieder von Bruce Springsteen, die dreh ich laut. Dann denke ich, ich bin im Film. Absolut wahnsinnig, absolut ist das. Und dann denk ich, jetzt gibt’s doch noch ein Happy End.»
Meine Gespräche über den Umgang mit Gewaltsymbolik lassen eine Schlussfolgerung zu: Wer die Relevanz medial dargestellter Gewalt genauer bestimmen will, muss auf das eingehen, was der Jugendliche in den Prozess der Aneignung mit einbringt. Dazu zählen entwicklungsbedingte Wahrnehmungsbesonderheiten ebenso wie sozialpsychologische Aspekte, dazu gehören individuelle Befindlichkeiten ebenso wie der Rückhalt in sozialen Netzwerken, darunter fallen die Verschiedenheiten familiärer Erziehungsstile ebenso wie das Verhaftetsein in spezifischen (z. B. jugend-)kulturellen Zusammenhängen.
Wenn ich die Interviews Revue passieren lasse, dann werden mir die Oberflächlichkeit und Abstraktheit klar, mit denen an kausalen Wirkungsketten (z. B. medial inszenierte Gewalt
erzeugt
Gewalt) festgehalten wird.
Ängste, Einsamkeit und Computersucht
Untersuchungen haben die Bereitschaft zur Gewaltanwendung mit existenziellen sozialen Ängsten der Heranwachsenden erklärt, die zerstörerische Aggression und Brutalität als verzweifelten Hilfeschrei gedeutet. Auf der Basis meiner Gespräche lassen sich – ergänzt durch andere Studien aus der Jugend- und Medienforschung – einige Trends zusammenfassen:
Ängstliche und verunsicherte Jugendliche und Jugendliche mit wenig Selbstwertgefühl haben eine Vorliebe für «Action»-Filme, in denen sich der einzelne Held bzw. eine Gruppe im Kampf bewähren muss. Solche Medienangebote werden zu einer Art von «psychischer Prothese», die «man» braucht, um sich zu stabilisieren. Es kann zu
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