Pubertät – Loslassen und Haltgeben
starken emotionalen Bindungen an den Film kommen.
Gefühlsmäßig leere Jugendliche nutzen ihre Medienangebote eskapistisch: Die Angebote dienen der Flucht in Traumwelten, sie kompensieren Niederlagen, oder sie werden benutzt, um Konflikten und Auseinandersetzungen auszuweichen. Nur über die Welt der medialen Symbole setzt man sich mit der Realität auseinander. Man braucht und gebraucht Medien, weil man sich in ihnen wiederfindet. Nur sie geben Verlässlichkeit, Orientierung, Vertrauen, nur sie stiften Sinn in einer Nahwelt, die keinen Sinn mehr vermittelt. Solche Mediennutzung hat etwas Zwanghaftes an sich.
Eine Identitätsbildung, die über die Auseinandersetzung mit zerstörerischer Gewalt der Medienhelden läuft, bleibt häufig eine negative. Identität wird nur über Abwertung und Ausgrenzung aufgebaut. So lassen sich aber Selbstwertgefühl und Verlässlichkeit nicht herstellen.
Folgende Einflusskette medial inszenierter Gewalt scheint nicht ausgeschlossen, bei bestimmten Jugendlichen durchaus denkbar: Ängste und emotionale Verunsicherung, die ökologisch,sozial, psychisch, ökonomisch oder lebensgeschichtlich geprägt sind, können einen hohen, weil ritualisiert-zwanghaften Medienkonsum jener Filme und Computerspiele nach sich ziehen, die der unbefriedigenden Lebenssituation einen Ausdruck verleihen. Bevorzugte Medienhelden sind in solchen Situationen nicht austauschbar, in ihrer Faszination spiegelt sich vielmehr eine krisenhafte Lebenssituation wider. Da das Abtauchen in die Medienwelt nichts an der realen Situation ändert, können weitere Verunsicherungen und erhöhte Angst, können Panik und starke Minderwertigkeitsgefühle die Folge sein. Der damit verbundene Gefühls- und Angststau – die Beispiele Arthur und Mirko zeigen es – kann sich in destruktiven Aktionen ebenso entladen wie in zerstörerischer Selbstaggression.
Einflüsse medial inszenierter Symbolik sind nicht zwangsläufig. Zentral für die mögliche Einschätzung medienbezogener Gewaltmuster sind die Erfahrungen, die die Heranwachsenden im Elternhaus machen: sei es die Akzeptanz der Eltern hinsichtlich der Gewalt oder ein Laisser-faire-Erziehungsstil, der den Heranwachsenden Gleichgültigkeit (auch bezüglich gewaltförmiger Ausdrucksweisen) signalisiert. So ist die familiäre Einstellung zu Aggression und Gewalt eine zu wenig beachtete Kategorie bei der Folgenabschätzung medialer Gewalt. Als äußerst problematisch erweisen sich zwei Erziehungsstile: Kinder, die einen offenen, antisozialen Umgang mit Aggression erfahren, identifizieren sich eher mit machtorientierten Formen von Autorität (z. B. Autorität, die im Namen «des guten Endes» handelt), nicht allein im realen Alltag, sondern auch in den Medien. Polar entgegengesetzt sind Heranwachsende, die mit scharfer Aggressionskontrolle aufwachsen, in einer Atmosphäre, in der Aggressionen streng unterdrückt und unter Strafe gestellt sind. Medial inszenierte Gewalt wird für Heranwachsende, die mit diesem Erziehungsstilaufwachsen, zum Symbol, um Verdrängtes, um tabuisierte Persönlichkeitsanteile auszuleben. Beide Erziehungsstile dokumentieren einen hilflosen, weil wenig selbstbestimmten Umgang mit Aggressionen. Denn: Je weniger Aggressionen angenommen sind und kultiviert werden, umso stärker müssen sie außengeleitet, auch über Medien ausgelebt werden.
Es gibt keine einflusslosen Computer- und Videospiele. In welcher Weise sich diese auf Heranwachsende auswirken, hängt entscheidend davon ab, mit welchen intellektuellen, gefühlsmäßigen und sozialen Vorerfahrungen Heranwachsende in den Prozess des Computerns gehen. Wenn Heranwachsende keine Chance für andere Freizeitaktivitäten, insbesondere außerhäusliche Tätigkeiten, besitzen, wenn sie sich von Eltern, Geschwistern und Freunden isolieren, wenn sie entmutigt sind, über wenig Selbstwertgefühl und -vertrauen verfügen, wenn der Computer zum Fluchtpunkt wird, dann ist es Aufgabe der Eltern, die Rahmenbedingungen der Nah- und Umwelt des Kindes zu überprüfen. Eine übermäßige und zeitintensive Nutzung des Computers, die sich über einen längeren Zeitraum hinzieht, kann als Reaktion des Heranwachsenden gedeutet werden, um hinzuweisen auf
schulische Schwierigkeiten (Überlastung, Überforderung, Versagensängste etc.),
Probleme mit Freunden,
fehlendes Urvertrauen, Minderwertigkeitsgefühle und Entmutigung,
starke Spannungszustände bei fehlendem Stressabbau,
ein gefühlsmäßig «leeres» Familienklima,
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