Pubertät – Loslassen und Haltgeben
unbefriedigende Eltern-Kind-Beziehungen, Gleichgültigkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen,
Eltern, die selbst zeitintensive Computernutzer sind,
auf nicht vorhandene alternative Freizeitangebote.
TEIL V
NACHGEDANKEN
ABSCHLIESSENDE MINIATUREN
«Ich will ausziehen», erklärt mir Josef, 19 Jahre. «Es reicht mir zu Hause! Ich mag meine Eltern schon. Aber wir haben ständig Zoff wegen irgendeiner Kleinigkeit. Aufräumen. Pünktlichkeit. Mithelfen und so! Das nervt mich, und das muss nun nicht mehr sein!» – «Bei mir ist’s anders», ergänzt Barbara, 21 Jahre. «Ich möchte mit meinem Freund zusammenleben. Das einfach ausprobieren. So bin ich mal hier und mal da. Mal Kind, mal Frau. Diesen Spagat finde ich anstrengend. Meine Mutter ist in Ordnung, aber die macht sich sehr viele Sorgen. Und das geht mir allmählich auf den Geist. Ich weiß, die meint es gut. Aber ich will jetzt auf den eigenen Beinen stehen!» – «Wir haben uns lange Zeit vertragen», berichtet Jakob, 19 Jahre. «Aber jetzt habe ich meine eigenen Interessen, meine Eltern haben andere. Wir passen nicht mehr zusammen. Jeder geht so seinen Weg. Ich glaub, wenn wir uns weniger sehen, dann passen wir irgendwann wieder besser zueinander.»
Heranwachsende haben vielfältige Motive, aus dem Familienhaushalt auszuziehen: Man will auf eigenen Füßen stehen, Eigenständigkeit demonstrieren, Freiheiten ausprobieren. Man möchte mit dem Partner oder der Partnerin zusammenleben, man will der elterlichen Kontrolle entfliehen und Selbständigkeit ausdrücken. Man will den ständigen Reibereien, die sich an Nichtigkeiten entzünden, aus dem Weg gehen. Viele Pubertierende spüren instinktiv, dass die heftigen Konflikte die Beziehungen zu den Eltern nachhaltig berühren, sogar beschädigen können.
In den Aussagen konkretisiert sich ein weiterer Gesichtspunkt, der häufig unterschätzt wird: Ablösung meint nicht Auflösung der Eltern-Kind-Beziehung. Ablösung bedeutet vielmehreine Umgestaltung dieser Beziehung. Man geht anders aufeinander zu, stellt eine neue Verbundenheit her. Sich voneinander zu lösen und gleichzeitig verbunden zu fühlen sind zwei Dinge, die zusammengehören. Schärfer formuliert: Eine Ablösung gelingt Heranwachsenden ausschließlich vor dem Hintergrund einer gefühlsmäßig stabilen Bindung zu den Eltern. Eine ehrliche, wechselseitige und partnerschaftliche Beziehung bietet Jugendlichen die Grundlagen, um selbständig zu werden, Verantwortung für sich zu übernehmen und um sich selbst zu finden.
Wenn Eltern und Heranwachsende sich voneinander lösen, nähern sie sich auf einem qualitativ anderen Niveau an, definieren Nähe und Distanz unter veränderten Vorzeichen, stecken Grenzen neu ab. So können sich tieferes Verständnis und gegenseitige Annahme entwickeln.
Wenn Eltern die Ablösung als ein abruptes Ende der Erziehungsbeziehung erleben, verunsichern sie damit auch ihr heranwachsendes Kind, das den Auszug als Abbruch vertraut-gewohnter Bindungen deutet. Denn so heftig Pubertierende familiäre Traditionen in Frage stellen, so bringt das Ende dieser Traditionen Irritationen für sie.
Ihr Sohn sei ausgezogen, erzählt mir Mareike Schön. Froh sei sie darüber gewesen, hätte es mit Max doch in letzter Zeit erhebliche Probleme gegeben. Dann nahte das Weihnachtsfest. Sie und ihr Mann hätten sich auf ein Fest ohne Max eingestellt. «Und da hab ich auf alle Rituale verzichtet. Kein Weihnachtsbaum, nur Fichtenzweige in einer Vase, kein großer Adventsschmuck. Ich war auch mal froh darüber, es anders zu machen!» Dann kam Max doch plötzlich nach Hause. Als er das Wohnzimmer so leer sah, stutzte er! «Was? Wie sieht es denn hier aus? Gibt’s denn keinen Weihnachtsbaum?», fragt Max einigermaßen überrascht. «Ich dachte, du kommst nicht», erwidert die Mutter. «Außerdem hast du im letzten Jahr nur rumgemeckert. Blöde Weihnachten! Wie langweilig!» Max schlug einen Riesenkrach und hatte nacheinem Baum verlangt. «Ich hole ihn nicht! Papa auch nicht!» Die Mutter bleibt beharrlich. «Dann gehe ich selbst einen schlagen!» Daraufhin ging Max los, kaufte einen Baum «vom eigenen Geld», schmückte ihn. Seine Mutter schmunzelt: «Es war ein absolut harmonisches Weihnachtsfest. Max hing an Traditionen, ich dachte, ich spinne. Er hat sogar freiwillig auf dem Klavier Weihnachtslieder gespielt!»
Viele Eltern verwechseln die Kritik Heranwachsender an familiären Ritualen damit, dass sie mit gewohnten Regeln nichts mehr zu
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