Pubertät – Loslassen und Haltgeben
tun haben wollen. Und deshalb schmeißen sie liebgewordene Gewohnheiten vorschnell über Bord. Dabei können Konflikte um Rituale zum Anlass genommen werden, über deren Sinn nachzudenken, sie vielleicht mit anderen Inhalten zu füllen.
Wenn Rituale für Heranwachsende stimmen, dann gilt es daran festzuhalten – ob in gewohnter oder modifizierter Form. Rituale symbolisieren Verlässlichkeit und Vertrautheit, in die die Jugendlichen nach dem Auszug gerne wieder eintauchen, um sich so einer Zugehörigkeit zur Familie zu vergewissern.
«Das leuchtet mir schon ein, was Sie da sagen», wirft die Mutter von zwei Töchtern ein, die seit einiger Zeit ausgezogen sind. «Aber für mich war ihr Auszug doch so etwas wie eine Befreiung. Da fiel auch Verantwortung von mir ab. Die eine hatte eine gute Ausbildung, die andere studierte. Das machte mich auch ein wenig stolz. Jetzt wollte ich mal etwas ganz anderes machen. Nicht nur Mutter sein, nicht mehr nur Verantwortung tragen. Wir haben», sie weist auf ihren Mann, der neben ihr sitzt, «darüber geredet. Und ich denke, wir haben einen Weg gefunden. Ich arbeite jetzt wieder halbtags als Sekretärin!»
Ihr Mann: «Mir ist es schon schwergefallen. Vor allem bei der letzten Tochter. Das war irgendwie so ein Ende. Da ist etwas gestorben. Und ich hab viel darüber nachgedacht, was ich alles mit den Töchtern versäumt habe. Ich war stark im Beruf engagiert,hab mich aus der Kindererziehung rausgehalten. Dann sind die Kinder mit einem Mal groß und nicht mehr da. Da kommen einem Schuldgefühle! Ich wollte mit einem Mal Versäumtes nachholen. Und habe gemerkt, das geht nicht!»
Väter haben häufig größere Schwierigkeiten, sich von ihren erwachsen werdenden Kindern zu lösen, als die Mütter. Väter sehen den Auszug häufig negativer und reagieren beunruhigter. Sie empfinden die Trennung als einen Verlust, der sie sehr plötzlich zu treffen scheint.
Die väterlichen Probleme weisen auf eine Vielzahl bedenkenswerter Aspekte des Auszugserlebens hin:
Viele Väter setzen sich mit der Abnabelung ihrer Kinder erst sehr spät und nur oberflächlich auseinander. Die gefühlsmäßigen Folgen eines Lösungsprozesses werden nur selten in ihrer ganzen Tragweite betrachtet.
Väter haben sich häufig lange Zeit aus der Erziehung herausgehalten. Sie haben sich mit der Kindererziehung auf eine imaginäre Zukunft hin vertröstet («Wenn die Kinder älter sind!»), und in dem Moment, wo sie vielleicht Zeit hätten, da ziehen die Heranwachsenden aus. Manchmal versuchen sich Väter in einer Erziehung der letzten Minute, die nicht selten in gegenseitigen Vorwürfen und nervtötenden Machtkämpfen endet.
Auffällig ist, dass Väter die Elternschaft nicht selten positiver als die Ehe bewerten. Deshalb halten sie an ihrer Elternrolle fest und die Kinder im Haus. Mancher Vater verwendet dabei wenig gekonnte Techniken, z. B., indem er Pubertierende durch Streit und Konflikt bindet oder durch materielle Zuwendung fesselt.
Je lebendiger und fester Männer die ehelichen Beziehungen erleben, desto positiver wird der Auszug der heranwachsenden Kinder erlebt. Indem die Elternrolle zurücktritt, tun sichFreiräume auf, die sich gemeinsam mit der Partnerin ausfüllen lassen. Und aus der Sicht der Heranwachsenden gilt: Je mehr sie spüren, wie sich Eltern auf die Partnerschaft zurückbesinnen, umso leichter fällt ihnen der Ablösungsprozess.
Der Auszug der Kinder stellt auch für Mütter eine Herausforderung dar. Er geht mit Trauer einher – vor allem dann, wenn die Lösung schnell erfolgt, ohne dass man sich emotional darauf vorbereiten kann. Insgesamt haben Mütter – so meine Beobachtung – durch den alltäglichen Kontakt mit ihren Kindern schon manche Trennung erlebt – angefangen beim Laufenlernen, dem Besuch des Kindergartens, der Schule, dem Kontakt zu Freunden. Mütter müssen häufiger Abschied nehmen, haben schon manche Träne vergossen, aber auch manche Krise durchgestanden.
Nun gelten auch für Mütter einige Rahmenbedingungen, unter denen der Prozess der Ablösung positiv erlebt wird. Mütter können ihre pubertierenden Kinder umso besser loslassen, wenn sie
die Mutterrolle durch alternative Aufgaben ausgleichen;
die Erziehung der Kinder ausgefüllt hat und sie nun die Ergebnisse ihrer Bemühungen sehen: selbständige und selbstbewusste Heranwachsende, die ihren eigenen Weg gehen;
auch schon während der Kindererziehung für sich sorgten und außerhäuslich aktiv wurden (z. B.
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