Pubertät – Loslassen und Haltgeben
dann mit meinem Mann in eine nahe Kapelle gegangen. Wir haben eine Kerze angezündet und gebetet. Und haben uns von unserem Sohn erzählt.» Sie fängt an zu weinen. «Das sitzt so tief. Es war einer der intensivsten Momente meines Lebens. Fast so schmerzhaft wie Nikos Geburt. Es war eine zweite Geburt. Wie gesagt, wir haben uns von Niko erzählt. Und wir haben irgendwie Abschied genommen von unserem Kind! Als wenn ich ihn in dieser Nacht losgelassen hätte. Und mein Mann und ich haben uns ganz fest angefasst, da war keine Leere. Wir hatten zumindest uns und die wunderbare Erinnerung an Niko. Der Halt aneinander hat uns gutgetan, und wir haben uns gefragt, ob wir unserem Sohn gerecht geworden sind. Er wollte seinen eigenen Weg gehen und von uns gute Wünsche mit auf den Weg bekommen, nicht unsere Sorgen.» Sie atmet tief aus. «Niko hat Gott sei Dank überlebt. Er wurde schnell gesund. Ich hab mit ihm einige Tage später im Krankenhaus über den Abend in der Kapelle geredet und ihm von meinen Gefühlen erzählt. Da nahm er mich in den Arm und sagte: ‹Ich pass auf mich auf, Mama!› Tja, ihm ist danach nie wieder ein Unfall passiert!» – «Und wie deuten Sie das?», will ich wissen. «Die unsichtbaren Bindungen waren mit einem Mal weg!», antwortet sie spontan. «Wie meinen Sie das?» – «Ich glaube, ich war auch sauer darauf, dass er so eigenmächtig von uns wegging. Ich hatte so viel für ihn getan. Er schien undankbar zu sein für das, was ich alles für ihn getan hatte. Irgendwie wollte ich ihm wohl zeigen, du kannst gar nicht ohne mich. Du brauchst mich. Ich bin immer für dich da. Egal, was passiert.» Sie lächelt. «Und da passierte ständig was. Aber genau das, was ich nicht wollte!» Sie macht eine Pause. «Erst als ich in jener Nacht so tief fühlte, was er mir gegeben hatte, und spürte, das werde ich nicht verlieren, auch wenn er …», sie stockt, «wenn ich ihn nicht wiedergesehen hätte, da konnte ich ihn loslassen. Sein Ende wäre nicht mein Ende gewesen. Ich hätte mit meinem Mann weitergelebt. So grausam esgewesen wäre. Ich musste wohl erst durch dieses Tal der Tränen, um loslassen zu können.»
Der Abschied von der Elternschaft verläuft nicht immer so dramatisch. Aber Abschiede tun weh, schmerzen Eltern und Jugendliche. Je offener mit den Gefühlen umgegangen wird, umso genauer kann man sie einschätzen, kann man mit ihnen umgehen. Für Eltern gilt: Versuchen Sie nicht, im Nachhinein etwas gutzumachen, was Sie versäumt haben. Gehen Sie offen mit Ihren Schuldgefühlen um! Sprechen Sie das an, denn Kinder können vergeben. Halten Sie die Balance zwischen Vertrauen in den jungen Erwachsenen und einem unaufgeregten, unaufdringlichen Interesse an Ihren Kindern, das zeigt: Ich bin da, wenn du mich brauchst!
Diese Balance aus Nähe und Distanz gilt es ständig neu auszuhandeln, sie ist nicht ein für alle Mal erkämpft. Es ist eine lebenslange Aufgabe, an der Beziehung zwischen Eltern und Heranwachsenden zu arbeiten. Das ist eine ständige Herausforderung – mal ist man sich näher, mal ferner. Eltern und Kinder (und seien sie noch so erwachsen) bleiben verbunden, ohne Verbündete zu sein.
«EINE FRAGE HABE ICH DOCH NOCH!» PUBERTÄT – KURZ UND BÜNDIG
1. Wodurch kommen körperliche Veränderungen zustande?
Körperliche Veränderungen werden von Hormonen, die diesen wichtigen Entwicklungsabschnitt steuern, in Gang gesetzt. Bei Mädchen sind es das Östrogen, das Progesteron und eine geringe Menge Testosteron, die zur Bildung der Eierstöcke und damit zum Einsetzen der Menstruation führen. Das Testosteron bewirkt bei Jungen – versehen mit einem kleinen «Schuss» Östrogen – die Produktion von Spermien. Durch die Hormonausschüttung verändern sich sowohl der Körper als auch die Geschlechtsorgane; bei Mädchen wachsen die Brüste, die Schamhaare, die Scheide wird größer, sie sondert Schleim ab, bei Jungen wachsen Penis und Hoden, die Haut wird dunkler.
Unabhängig von diesen physischen Umstrukturierungen steigt die Sehnsucht, mit seinem Körper anerkannt und bewundert zu sein, wächst das Bedürfnis nach lustvollen sexuellen Erlebnissen. Damit gehen jede Menge Unsicherheiten einher. So ist es für Jugendliche wichtig zu erfahren, dass die Pubertät auf ganz unterschiedliche Weise einsetzen kann, doch zugleich mit erheblichen körperlichen Veränderungen und mit sexuellen Schwankungen verbunden ist.
Verschiedene Autoren haben diesen Entwicklungsabschnitt als eine «zweite
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