Pubertät – Loslassen und Haltgeben
Wünsche und Sehnsüchte nur einen Teil dieser Bedürfnisse aus. Pubertierende inszenieren die Veränderungen, die ihr Körper während der Pubertät durchläuft. Sie stellen ihren Körper und sich zur Schau. Und nichts eignet sich besser als eigenwillig-modische Kleidungskreationen, Frisuren oder die Haarfarbe. Das Aussehen ist das ideale Feld, um Eltern herauszufordern, zu provozieren und deren Normen von Schönheit und Ästhetik in Frage zu stellen. Diese Kontroversen belasten die Familienatmosphäre, erzeugen einen scharf-giftigen Ton, bringen beleidigte Wortlosigkeit mit sich oder hinterlassen Ohnmachtsgefühle bei den Eltern. Die Mutter der 1 3-jährigen Manuela erzählt, ihre Tochter habe ihr neulich eröffnet, sie wolle ihre langen blonden Haare abschneiden lassen. Sie wolle eine Superkurzhaarfrisur und sich obendrein noch zwei lila Streifen ins Haar färben. Auf die entsetzte Nachfrage «Warum?» antwortete Manuela: «Weil das alle machen!»
«Wer sind alle?», fragt die Mutter scharf zurück.
«Na, Susanne, Iris … Alle eben!»
«Also: nur zwei und nicht alle!» Die Stimme der Mutter hat einen leicht drohenden Klang.
«O. k.! Eben nur zwei! Aber es sieht stark aus!»
Es folgt eine lange Diskussion mit immer wiederkehrenden Argumenten. Manuela vertritt ihre Meinung, die Mutter eine andere, obgleich «ich», wie mir die Mutter auf einem Elternseminar eingesteht, «meiner Tochter nicht wirklich etwas entgegnen konnte».
«Was haben Sie ihr denn gesagt?», will ich wissen.
Sie überlegt: «Na, so ganz vernünftige Einwände: ‹Denk mal an deine schönen Haare.› Oder: ‹Du machst dir dein Haar kaputt!›, und so etwas. Manchmal habe ich ihr auch gedroht. Aber sie lächelte nur, und dann kam ich mir ganz blöd vor!»
Über lange Wochen zogen sich die Diskussionen hin – beim Frühstück, beim Abendessen, «bei jeder Gelegenheit immer aufs Neue der Stress. Noch ist sie nicht zum Friseur gegangen, aber wenn!» Sie schlägt die Hände vor ihr Gesicht.
«Was sehen Sie gerade in Ihrer Phantasie? Was sind Ihre schlimmsten Bilder?»
«Dass alle über mich schlecht reden und denken, ich habe in der Erziehung versagt!»
«Was meinen Sie», greift die Mutter des 1 5-jährigen Jonas ins Gespräch ein. «Bei mir war’s ähnlich. Jonas wollte sich eine Glatze schneiden lassen. Oder zumindest einen Irokesenschnitt. Das gab endlose Diskussionen, die darin endeten, dass Jonas aus dem Zimmer rannte und ich frustriert zurückblieb. Die Atmosphäre wurde immer gereizter, bis ich sagte: ‹Ich will von deiner Frisur nichts mehr hören. Ich kann’s ohnehin nicht verhindern, wenn du das machst. Meine Meinung zu dem Thema kennst du. Lass uns endlich über andere Dinge reden als über deine Haare!›»
«Und?», erkundigt sich Manuelas Mutter neugierig.
«Die Luft war raus!» Jonas’ Mutter schmunzelt. «Er ist nicht zum Friseur gegangen. Aber als die Sache mit den Haaren ausgestanden war, ging’s mit den Springerstiefeln weiter, die die Skins tragen. Die wollte er nun partout haben. Es ist eben nie zuEnde.» Sie denkt nach. «Aber ich habe meine Lektion jedenfalls gelernt!»
Eigenständigkeit, Selbstbewusstsein, eine eigene Identität bilden sich zunächst über ein eigenes Körperbewusstsein aus. Und dies ist – wie der gesamte Verlauf der Pubertät – von Extremen gekennzeichnet: schrill, überzogen, auffallend, vor allem ausgrenzend. Das gilt insbesondere für die Eltern wie die Erwachsenenwelt schlechthin: Je deutlicher die Pubertierenden spüren, dass ihre Eltern die körperbetonten Inszenierungen der eigenen Kinder nur mit Blick auf die Umwelt («Was mögen andere wohl denken?») ablehnen, umso stärker beharren sie auf eigenen Ausdrucksweisen.
«Aber was kann ich nun tun?», fragt Manuelas Mutter.
«Gelassenheit, Verständnis. Aber beides hat nichts mit Gleichgültigkeit und einem Verzicht auf die eigene Meinung zu tun. Formulieren Sie Ihre eigene Meinung, Ihre Haltung deutlich», rate ich. «Sagen Sie Manuela, dass Sie so einen Haarschnitt nicht mögen. Aber geben Sie Ihrer Tochter vor allem das Gefühl, dass sie auch dann angenommen und willkommen ist, wenn sie einen Haarschnitt hat, der Ihnen nicht passt.»
Als ihre Mutter vom Seminar nach Hause kommt, sitzt Manuela mit kurzgeschorenen, lilagetönten Haaren zu Hause und heult Rotz und Wasser. «Ich sehe aus wie eine Hexe. Ich gehe so nicht mehr raus.» Die Mutter ruft später bei mir an: «Zuerst wollte ich sagen: Siehste, ich hab’s
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