Pubertät – Loslassen und Haltgeben
war oder 5, da wollte ich mithelfen, den Tisch decken oder die Geschirrspülmaschine aus- und einräumen. Aber das ging Mama nicht schnell genug. Oder ich habe es nicht richtig gemacht. Sie hat mir alles aus der Hand genommen. Irgendwann habe ich nicht mehr gefragt. Und nun habe ich keine Lust mehr!»
Wer Heranwachsenden keine Pflichten zumutet, die sie bewältigen können, entmutigt sie, gibt ihnen keine Verantwortung und sollte sich auf Dauer nicht wundern, wenn sie sich zurückziehen und nicht bereit sind, Aufgaben zu übernehmen. Ein Gefühl von Zugehörigkeit entwickelt sich bei Jugendlichen nicht allein durch emotionale Nähe zu Vater, Mutter oder Geschwistern, sondern auch, indem man ihnen häusliche Aufgaben und Pflichten zuweist. Indem Heranwachsende etwas leisten und ihrKönnen unter Beweis stellen, bauen sie Selbstbewusstsein auf. Selbstverständlichkeiten brauchen keine ständigen Belohnungen in Form von Geld oder anderen materiellen Zuwendungen. Ein «Danke!», ein Lächeln, eine Geste drücken Zuneigung besser aus als ein Geldstück.
Ulrich, 13 Jahre, hatte seine Eltern gut im Griff. Eigentlich war er zu Hause für das Rasenmähen und das Straßenfegen verantwortlich. Dies sollte wöchentlich geschehen, doch er ließ sich ständig gesondert bitten. Er wusste: Wenn ich die Nerven meiner Eltern strapaziere, bekomme ich Sonderlohn! Und so war es denn auch. Ließ er sich besonders viel Zeit, bevor er mit seinen Aufgaben begann, die er übrigens freiwillig übernommen hatte, gab’s zwar drängelnde Ermahnungen, die ihn aber nicht weiter erschütterten. Hatte er das Rasenmähen, das dienstags anstand, am Donnerstag noch nicht erledigt, zürnte die Mutter zwar, setzte aber, wenn Ulrich seinen Pflichten endlich und nach wiederholtem Zureden nachgekommen war, einen Sonderlohn aus – seien es Geld, mehr Fernsehen oder sonstige materielle Streicheleinheiten.
Eine ähnliche Strategie verfolgte Katharina. Sie hatte die Aufgabe übernommen, die Küche aufzuräumen. Doch dieser Verpflichtung kam sie nur zögerlich und vor allem unregelmäßig nach. Meist blieb alles an ihrer alleinerziehenden Mutter hängen, die dann selber murrend und nörgelnd die Reinigungsarbeiten vollzog. Auf mütterliche Vorhaltungen reagierte Katharina gleichgültig bis beschwichtigend: Sie hätte es gleich gemacht, die Mutter solle nur ein bisschen mehr Geduld haben und nicht ständig nörgeln. Aber Katharina beherrschte auch die emotionale Nötigung – da reichte der Hinweis an ihre Mutter, beim Vater brauche sie nicht aufzuräumen, der habe eine Putzfrau. Das tat zwar weh, aber die Mutter schluckte ihren Ärger und ihren Frust herunter. Als sie eines Tages abgespannt nach Hause kam, die Küche unaufgeräumt und Katharina lässig vor der Glotze hockendentdeckte, platzte ihr der berühmte Kragen. Sie scheuchte ihre Tochter mit heftigen Worten und Vorhaltungen in die Küche, beobachtete sie von der Küchentür aus bei der Arbeit, kritisierte sie und quengelte, sodass in kürzester Zeit ein heftiger Streit entbrannte. Als sich Katharina in Beleidigungen erging, verließ die Mutter wutschnaubend die Küche. Die Tochter putzte in kürzester Zeit alles blitzblank und stellte ihrer Mutter das Ergebnis vor. Diese nahm ihre Tochter in den Arm und versprach ihr für den nächsten Tag einen Pullover, den sich Katharina schon immer gewünscht hatte.
Ich habe in meinen Büchern immer wieder betont und glaube, diese Aussage gar nicht oft genug wiederholen zu können: Häusliches Zusammenleben funktioniert nicht auf der Grundlage von Bestechung, weil so der Wunsch nach immer mehr, nach dauernder Belohnung entsteht. Wird eine Belohnung einmal verweigert, empfinden Kinder das so, als ob bei ihrem Tun nichts herauskomme. Dann beginnen die berühmten Machtkämpfe («Wir wollen doch mal sehen, wer hier gewinnt!»). Wer Selbstverständlichkeiten – und die Mithilfe im Haushalt oder im familiären Alltag (z. B.: Mülleimer hinausstellen, Rasenmähen etc.) – materiell belohnt oder eine Belohnung in Aussicht stellt, provoziert geradezu eine grenzenlose Erwartungshaltung «immer mehr» bei den Kindern und entwertet so auch die familiären Beziehungen.
Das eigene Zimmer aufzuräumen, den Tisch zu decken, Leistungen (z. B. in der Schule) zu erbringen, dafür verdienen Heranwachsende positive Bestärkung, Ermutigung und – weil Ausnahmen die Regel bestätigen – als Überraschung hin und wieder eine materielle Bestätigung. Aber das sollte die
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