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Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Pubertät – Loslassen und Haltgeben

Titel: Pubertät – Loslassen und Haltgeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan-Uwe Rogge
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über die Schule. Manchmal habe ich den Eindruck, alles drehe sich im Leben nur noch um die Schule: Die einen gehen in einer Verweigerungshaltung auf, die anderen versuchen sich als Antreiber und Kontrolleure. In vielen Beratungsgesprächen, die ich führe, geht es ausschließlich um die schulischen Leistungen der Heranwachsenden, besser: um Leistungseinbrüche, um gefährdete Versetzungen, schlampig oder gar nicht gemachte Hausaufgaben. Nicht wenige Eltern stöhnen darüber, wie das leidige Thema Schule die Familienatmosphäre vergiftet, sehen sich aber dafür nicht als Mitverantwortliche. Mir fällt auf: Das Schulthema wird in einigen Familien so beherrschend, dass über nichts anderes mehr geredet wird und andere – genauso wichtige – Alltagsbereiche völlig außen vor bleiben. Stefan, 14   Jahre, meinte neulich: «Beim Frühstück geht’s um die Schule: ‹Pass gut auf!› In der Schule die Lehrer, nachmittags die Hausaufgaben, beim Abendessen väterliche Kontrolle und im Schlaf Albträume von der Schule.» Dabei gibt es ein Leben jenseits der Schule!
    Besonders heikel sind die Auseinandersetzungen um die Schule deshalb, weil es dabei selten um einen Sachkonflikt geht. Vielmehr handeln die meisten Beteiligten – bewusst oder unbewusst – einen Beziehungskonflikt aus. Diese Komponente verkennen viele Eltern, auch wenn ein Rückblick in die eigene Biographie diesen Beziehungsstress verdeutlichen könnte.
    Der Rückzug aus schulischen Angelegenheiten während der Pubertät ist normal. Die körperlichen, seelischen und gefühlsmäßigen Entwicklungsschübe erfordern Kraft, ziehen Energieab, die für intellektuelle Anstrengungen nicht mehr frei sind. Insofern sind Verweigerungshaltungen ein Zeichen für Reifeschritte. Doch dahinter können sich auch Hilferufe verbergen, mit denen ein Kind Aufmerksamkeit erzielen möchte. Manche Eltern überhören oder übersehen diese Signale. Statt angemessen zu reagieren, verstärken sie den Druck, z.   B. durch eine intensive Überwachung ihres Kindes, das sich nun noch mehr verweigert oder die Eltern durch andere Störungen nervt. So kann ein richtiger Teufelskreis entstehen.
    Manche Eltern meinen wiederum, das Wichtigste, das sie ihren Kindern mit ins Leben geben können, sei eine hervorragende Schulbildung. Das ist wichtig, doch bedeutsamer sind für Kinder und Jugendliche die Ausbildung von Eigenständigkeit, von Selbstwertgefühl, und das Urvertrauen, auch schwierige Lebenssituationen meistern zu können. Eine nicht geringe Zahl von Jugendlichen fühlt sich von den Eltern nicht im Hier und Jetzt angenommen. Eltern haben eine – vor allem für die Jugendlichen – meist ferne Zukunft im Visier («Du brauchst ein prima Zeugnis, sonst wird aus dir nichts werden!») oder sind fixiert auf die Umwelt («Was denken wohl die anderen, wenn mein Kind die Klasse wiederholt?»). Wenn Pubertierende spüren, dass ihre Eltern diese Bilder im Kopf haben, dann beginnt ein meist unwürdiger Machtkampf.
    Ich möchte nochmals unterstreichen: In der Pubertät wächst bei Schülerinnen und bei Schülern die Distanz zur Schule. Leistungseinbrüche, der Rückgang des Notendurchschnitts, Klassenwiederholungen, eine geringe Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft sind normal und teilweise hormonell bedingt. Die intellektuelle Leistungsbereitschaft sinkt, es gibt Probleme mit der Disziplin, die Jugendlichen stören in oder schwänzen die Schule. Allerdings: Pubertierende leisten auch etwas – sie müssen wichtigen Entwicklungsaufgaben nachkommen, und dafür brauchen sie Kraft und Energie.
     
    Nun wäre es allerdings vereinfachend, schulbezogene Auffälligkeiten allein auf Entwicklungsprozesse in der Pubertät zurückzuführen. Die fehlende Motivation, in den Unterricht zu gehen, die Tendenz, sich schulischen Aufgaben zu entziehen, können andere – manchmal auch verdeckte – Ursachen haben:
    Eine Rahmenbedingung, die in ihrer demotivierenden Bedeutung für Heranwachsende nicht zu unterschätzen ist, stellt das System Schule dar – hier insbesondere die Lehrerpersönlichkeit. Finden diese kraft ihrer Autorität und Ausstrahlung Zugang zu den Lebens- und Gefühlswelten ihrer Schüler und Schülerinnen, dann können sie einen Beitrag leisten, den Schulfrust bei Heranwachsenden zu minimieren. Aber umgekehrt gilt: Zieht sich das Lehrpersonal auf reine Wissensvermittlung zurück, verkennen, übersehen oder missachten Lehrer und Lehrerinnen gar die Entwicklungsbesonderheiten von Jugendlichen in

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