Puck
Der Zug fuhr an, und die Gefährtin wäre um ein Haar vom Sitz gefallen, ich bekam sie gerade noch zu fassen.
Der Bahnhof war unbeschädigt. Die rote Glut am Horizont versank langsam. Die Gefährtin schlief fest, der Wolfshund und Puck schnarchten um die Wette. Auch ich nickte wieder ein.
Erst am hellen Tage kam ich wieder zu mir. Der Zug hatte jetzt ein erhebliches Tempo. Ich schaute hinaus: eine friedvolle Landschaft, Städtchen und Dörfer ohne Ruinen.
»Wir sind schon über München hinaus!« sagte der Herr des Wolfshundes. Er reichte mir ein Wurstbrot: »Ich steige doch gleich aus.«
Ich teilte das Brot in drei Teile, gab einen Puck, aß selber einen und hob den dritten für die Gefährtin auf, die soeben erwachte. Jemand schenkte Kaffee aus. Es wurde fast gemütlich, soweit das unter diesen Umständen möglich war. Puck machte eine tiefe Verbeugung vor uns, riß gähnend das Maul auf. Ich holte aus der Toilette Wasser für ihn.
Dann sah ich in der Ferne die Berge auftauchen. Verschneite Zinnen, Titanenblöcke, geschwungene Riesenterrassen. Es war wie ein Märchen. Ich hatte, mitten im Untergang, Ferien, sehr lange Ferien, ich war frei! Nur an den Hunger dachte ich nicht.
Endlich waren wir da. Es gab keinen Gepäckträger, kein Taxi und niemanden, der uns erwartete. Aber — o Freude! — unser Gepäck war mitgereist. Wir ließen es vorläufig auf dem Bahnhof und erkundigten uns dann.
Das Haus der Professorin lag auf der anderen Seite des Ortes. Wir mieteten einen alten Handschlitten und luden auf. Dann spannte ich mir eine dicke Schnur um die Schultern und zog. Frauchen schob. Puck schnüffelte an den schulterhohen Schneebergen auf den Bürgersteigen und schlidderte auf dem glatten Damm. Ein entzückendes Städtchen mit viel Barock und Holzschnitzerei, die Kirche mit dickem Zwiebelturm, ein herrlicher spätgotischer Brunnen, ganz mit Eis behängen. Ich blieb stehen und grinste: »Ich bin fest davon überzeugt, daß das alles nicht stimmt!«
»Es stimmt schon, aber es wird sicher einen Haken haben. So viel Glück gibt es nicht. Vielleicht ist die Frau Professor ein Drachen, der uns das Leben zur Hölle macht, oder sie hat etwas gegen Hunde, oder der Bürgermeister gibt uns keine Aufenthaltserlaubnis.«
»Sei doch nicht so pessimistisch«, sagte ich, zog wieder an — und schlug der Länge nach glatt aufs Gesicht.
Jemand kam den Weg herauf, ein Mann in den Dreißigerjahren, den speckigen Hut mit dem Gamsbart schräg auf dem roten Haar, Lederjacke, Gamslederne und Stutzen an den muskulösen, etwas krummen Beinen. Er rauchte eine halblange Pfeife mit Silberdeckel und einem Porzellankopf. Ein Jäger mit Spielhahnfeder am Hut war darauf abgebildet. Er sagte etwas auf urbayerisch, grinste und übersetzte es — während er mir die Hand gab und mich mit einem Ruck wieder senkrecht stellte — in ein geschraubtes Hochdeutsch: »Wollen Sie zur Frau Professor?« Und als ich es bejahte: »Ich hab’ mir’s fast gedacht und am Bahnhof auf Sie gewartet, weil mich die Frau Professor drum gebeten hat. Ich wollte aber erst sichergehen. >Holst einen Kranken ab und d’ Frau dazu<, hat sie mir gesagt. Na, da hab’ ich Sie studiert. Krank sieht er ja aus, hab’ ich mir gedacht, dünn und zum Umblasen. Aber erst als Sie hier ‘raufkraxelten und hinfielen, da hab’ ich mir gedacht: des is er. Auf alle Fäll’ is er a Preiß, hob i mir g’sagt, nur a Preiß ko so bleed sei und mit so damische Stadtschuh auf ‘m Glatteis umanandasteig’n.« Er quetschte meine Hand und rückte an seinem Hut: »Da Alois bin i.« Er gab auch der Gefährtin die Hand: »Grüß Eahna Gott, Frau!« Dann beugte er sich zu Puck hinunter, der mit der Nase an seiner Hose klebte: »Ja — und’s Hunderl! Woaß d’ Professorin, daß ihr a Hunderl dabei habts?«
»Nein — wieso?«
Er zog an seiner kalten Pfeife: »Sie ist a bisserl komisch mit die Hund’, sie hot amoi an g’habt, an Boxer, wissen S’, des war wia der Professor no g’lebt hat, der is dann g’storbn — der Hund, moan i — , der Professor is dann aa g’storbn, aber vorher hat er sei Hund no in Stein g’haut, so genau, als ob er lebn tät. Jetzt sitzt er drobn neba’n Schreibtisch, der Hund, moan i. Also, Leit, probier’ ma’s.« Er nahm die Schlittenschnur auf und ging mit langen Schritten bergan. Wir folgten und wechselten beklommene Blicke. »Ich hab’ dir ja gesagt, daß es einen Haken hat!« flüsterte die Gefährtin. Ich nickte nur, ganz stumpf vor Angst um
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