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Pulphead

Pulphead

Titel: Pulphead Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Jeremiah Sullivan
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joggten wie Armeeausbilder neben dem Wagen her, der mit quietschenden Reifen davonfuhr und auch das Model mitnahm. Große schwere schwarze Limousinen scherten aus der Spur, um den Van zu flankieren. Dann war es ruhig, das Baskenland. Am nächsten Morgen wehten noch die Fahnen am Fluss, und die Presse schrieb an ihren Verrissen, aber Axl war weg.
     
    Sie waren die letzte große Rockband, die es nicht irgendwie auch ein bisschen peinlich fand, eine Rockband zu sein. Es gibt
immer und überall Tausende von Bands, für die Rock nicht im Ansatz lustig ist, aber sehr selten ist mal eine von ihnen gut. Um G N' R kam man – egal für wie geschmacksgebildet man sich in Sachen Popmusik hielt (lassen wir an dieser Stelle die paradoxe Natur der durch und durch sozialen Kategorie »Geschmack« beiseite) – nie ganz herum. Sie waren die erste Band, mit der ich meinem älteren Bruder gegenüber recht behielt. So ging es vielen in meiner Generation. Meine ganze Jugend hindurch hatte mich mein Bruder mit Musikgeschmack zwangsernährt – »Def Leppard ist Scheiße, du musst The Jam hören« –, aber jetzt gab es endlich eine Band, wegen der ich keine Abbitte zu leisten hatte. Ich erinnere mich bis heute an dieses kleine, glühende, mit Brüderlichkeit durchmischte Triumphgefühl, das ich verspürte, als er eines Tages zu mir sagte: »Alter, du hattest recht mit Guns N' Roses. Das is'n richtig gutes Album.« Appetite natürlich. Danach entwickelten sich die Dinge merkwürdig.
    Manchmal liest man, Nirvana hätten Guns N' Roses obsolet gemacht. Aber Guns N' Roses sind nie obsolet gemacht worden. Sie haben sich einfach irgendwie aufgelöst.
    Es entspricht eher den Tatsachen, dass Nirvana wegen G N' R überhaupt erst möglich wurden. Man denke an die Nische, die Nirvana angeblich erfunden und zur Perfektion gebracht haben – eine Megaband, die Indie-Snobs nicht gänzlich desavouieren können, egal, wie gern sie das würden: G N' R hatten diese Nische zuerst besetzt. Fast. Sie trugen dämliche Klamotten. Offensichtlich hatten sie kein Gespür für den Unterschied zwischen ihren guten Songs und ihren Scheißsongs. Aber man muss sich auch vor Augen halten, dass sie zu einer Zeit auf den Plan traten, als Bands mit Sängern, die aussahen wie Axl und die ihre Hüften unironisch nach vorn stießen, und mit Lead-Gitarristen, die mit gespreizten Beinen ihr Gitarrengott-Gegniedel abspulten, nicht interessant, melodisch oder auf irgendeine Art kultiviert zu sein hatten. G N' R waren das aber. Auch sie
waren natürlich bizarr und derb und manchmal strunzdumm. Vielleicht sogar die meiste Zeit. Vielleicht sogar fast die ganze Zeit. Aber man wusste immer, dass man etwas erlebte, wenn man sie erlebte.
    Sollte sich die Band nicht einfach wieder zusammentun? Ob ihnen klar ist, wie gigantisch das wäre? Dana Gregory hatte gesagt, dass Slash und Izzy nie wieder Vollzeit mit Axl spielen würden: »Die kennen ihn zu gut.«
    Ich kenne ihn überhaupt nicht. Vielleicht hätte er mich, wenn mich seine Leute mit ihm hätten reden lassen, gebissen und geschlagen und mich angeraunzt, ich solle meine verfickten Blagen zu Hause lassen. Dann hätte ich mit diesem Gefühl arbeiten können. So, wie die Sache steht, bleibt mir nichts anderes, als mir noch einmal »Patience« anzuhören. Keine Ahnung, wie es dort aussieht, wo Sie leben, aber in den Südstaaten, wo ich wohne, spielen sie das Lied immer noch andauernd im Radio. Und ich pfeife mit und warte auf diese Stimme gen Ende, wenn dieses »Ooooooo, I need you. OOOOOOO, I need you« kommt. Und Axl auf dem ersten »Ooooooo« diesen taschentuchzerfetzenden Ton singt. Der das Bild von jemandem heraufbeschwört, der sich die Kopfhaut wie die Schale einer Weintraube vom Schädel pellt. Ich muss aufpassen, dass ich nicht versuche, an dieser Stelle mitzusingen, denn das kann dazu führen, dass ich so was wie würgen muss und mich fast ein bisschen übergebe. Und beim zweiten »OOOOOOO« stellt man sich dann nur noch einen nackten, grün phosphoreszierenden Schädel vor, der zitternd und mit klaffendem Maul in einer Gefängniszelle hängt.
    Oder was auch immer Sie sich dabei vorstellen.

Füße im Rauch
    Als mein älterer Bruder Worth (kurz für Elsworth) am Morgen des 21. April 1995 in einer Garage in Lexington, Kentucky, seine Lippen an ein Mikrofon hielt, traf ihn im wahrsten Sinne des Wortes der Schlag. Worth war mit seiner Band, den Moviegoers, auf dem Weg von Chicago zu einem Konzert in Tennessee, wo ich damals

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