Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition)
Hadley zieht die Nase kraus.
Als die Wände um sie herum fallen wie ein Kartenhaus, schließt sie die Augen und befolgt den Ratschlag ihres Vaters, den er ihr im Fahrstuhl in Aspen gegeben hat. Sie stellt sich den Himmel über der gewölbten Decke der U-Bahn-Station vor, über dem Bürgersteig und den schmalen, hohen Gebäuden. Diese Art der Stressbewältigung folgt einem bestimmten Muster, wie ein wiederkehrender Traum, immer das gleiche Bild: ein paar Wolkenfetzen, wie ein Farbstreifen auf einer blauen Leinwand. Doch diesmal findet sie zu ihrer Überraschung ein neues Bildelement innen auf den Lidern, das quer über den blauen Himmel ihrer Fantasie zieht: ein Flugzeug.
Ihre Augen öffnen sich flatternd, als der Zug aus dem Tunnel gerauscht kommt.
Hadley weiß nie genau, ob manche Räume so klein sind, wie sie ihr vorkommen, oder ob nur ihre Panik sie schrumpfen lässt. In ihrer Erinnerung sind Stadien oft kaum größer als Turnhallen, ausladende Eigenheime schnurren auf Wohnungsgröße zusammen, weil so viele Leute hineingestopft sind. Schwer zu sagen also, ob die U-Bahn-Wagen tatsächlich kleiner sind als in New York, in denen sie tausend Mal relativ ruhig gesessen hat, oder ob es nur am Knoten in ihrer Brust liegt, dass sie ihr so klein wie ein Matchbox-Auto vorkommen.
Zu ihrer Erleichterung findet sie einen freien Platz am Ende einer Reihe, setzt sich und schließt sofort wieder die Augen. Aber diesmal funktioniert es nicht, und als die Bahn aus der Station ruckelt, fällt ihr das Buch ein, und sie zieht es, dankbar für die Ablenkung, aus der Tasche. Bevor sie es aufschlägt, fährt sie mit dem Daumen über die geprägten Worte auf dem Buchdeckel.
Als sie klein war, hat sich Hadley oft in Dads Arbeitszimmer geschlichen, das von Bücherregalen gesäumt war, vom Boden bis zur Decke, alle voll mit zerfledderten Taschenbüchern und gebundenen Bänden mit brüchigen Rücken. Sie war gerade sechs, als er sie zum ersten Mal mit ihrem Elefanten in seinem Sessel fand, wo sie Dickens’ Weihnachtsgeschichte so konzentriert studierte, als wollte sie eine Doktorarbeit darüber schreiben.
»Was liest du denn da?«, hatte er gefragt, sich an den Türrahmen gelehnt und die Brille abgenommen.
»Eine Geschichte.«
»Ach ja?« Er versuchte, nicht zu lächeln. »Was für eine Geschichte?«
»Über ein Mädchen und ihren Elefanten«, teilte Hadley ganz sachlich mit.
»Tatsächlich?«
»Ja«, sagte sie. »Und die beiden machen zusammen eine Reise, mit dem Fahrrad, aber dann rennt der Elefant weg, und sie weint so doll, dass ihr jemand eine Blume schenkt.«
Dad ging zu ihr und hob sie mit einer geübten Bewegung aus dem Sessel – wobei Hadley sich verzweifelt an das schmale Buch klammerte –, bis sie plötzlich auf seinem Schoß saß.
»Was passiert als Nächstes?«, fragte er.
»Der Elefant findet sie wieder.«
»Und dann?«
»Dann kriegt er einen Muffin. Und danach leben sie glücklich und zufrieden, und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.«
»Klingt nach einer großartigen Geschichte.«
Hadley drückte den zerrupften Elefanten auf ihrem Schoß. »War es auch.«
»Soll ich dir noch eine andere vorlesen?«, fragte er, nahm ihr sanft das Buch aus der Hand und schlug die erste Seite auf. »Es geht um Weihnachten.«
Sie lehnte sich zurück gegen den weichen Flanell seines Hemdes, und er fing an zu lesen.
Sie liebte gar nicht so sehr die Geschichte selbst; die Hälfte der Worte verstand sie nicht, und oft verlor sie bei den gewundenen Sätzen den Faden. Es war der knorrige Klang seiner Stimme, die lustigen Akzente, die er jeder Figur verlieh, und dass er sie die Seiten umblättern ließ. Jeden Abend nach dem Essen lasen sie zusammen in der Stille des Arbeitszimmers weiter. Manchmal stellte Mom sich mit einem Geschirrhandtuch in der Hand und einem halben Lächeln auf den Lippen in die Tür und hörte zu, aber meist waren sie nur zu zweit.
Auch als sie schon alt genug war, selbst zu lesen, machten sie sich noch gemeinsam an die Klassiker, von Anna Karenina über Stolz und Vorurteil zu Früchte des Zorns , so als würden sie gemeinsam den Globus umrunden, und rissen Löcher in die Bücherregale, die wie fehlende Zähne aussahen.
Und noch später, als klar wurde, dass Fußballtraining und Telefonzeit ihr wichtiger wurde als Jane Austen oder Walt Whitman, als aus der Stunde eine halbe und aus jedem Abend jeder zweite Abend wurde, machte das nichts mehr. Die Geschichten waren schon zu einem Teil
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