Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition)
hier verschwinden.«
Hadley runzelte die Stirn. »Was?«
»Pack deine Sachen, Kind«, sagte Mom und klang schon fast wieder wie sie selbst. »Wir verreisen.«
Es war Ende Januar, und draußen war es genauso trostlos wie drinnen bei ihnen. Als sie aber in Arizona aus dem Flugzeug stiegen, spürte Hadley bereits, dass sich in Moms Innerem etwas löste, etwas, was zusammengeknautscht wie eine kleine Kugel in ihrer Brust gelegen hatte. Sie verbrachten ein langes Wochenende am Pool der Hotelanlage, ihre Haut wurde braun, ihre Haare blonder von der Sonne. Abends gingen sie ins Kino, aßen Burger und spielten Minigolf, und obwohl Hadley die ganze Zeit darauf wartete, dass Mom zusammenbrach, die Fassade fallenließ und sich in einem Tränensee auflöste, wie sie es schon seit Wochen tat, passierte es einfach nicht. Hadley kam der Gedanke, wenn ihr Leben von nun an so sein sollte – ein langes Mädchen-Wochenende –, dann würde es vielleicht gar nicht so schlimm.
Aber den wahren Zweck des Ausflugs begriff sie erst, als sie wieder nach Hause kamen. Hadley spürte es gleich, als sie ins Haus kamen, wie die Spannung, die nach einem Gewitter in der Luft hängt.
Dad war da gewesen.
Die Küche war kalt und düster, und die beiden standen schweigend da und begutachteten den Schaden. Die kleinen Dinge trafen Hadley am härtesten, nicht die auffälligen Abwesenheiten – die Mäntel an den Haken neben der Hintertür, oder die Wolldecke, die normalerweise im Nebenzimmer überm Sofa lag – sondern die unscheinbaren Leerstellen: der fehlende Tonkrug, den sie im Töpferkurs für ihn gemacht hatte, das gerahmte Foto seiner Eltern, das auf der Durchreiche gestanden hatte, der freie Platz im Küchenschrank, wo immer sein Becher gewesen war. Es kam ihnen vor wie der Tatort eines Verbrechens, als wäre das Haus ausgeraubt worden, und Hadleys erster Gedanke galt Mom.
Doch ein Blick genügte um zu erkennen, dass Mom schon Bescheid wusste.
»Wieso hast du mir nichts erzählt?«
Mom war bereits im Wohnzimmer und fuhr mit den Fingern über die Möbel, als hielte sie Inventur. »Ich dachte, das wäre zu hart.«
»Für wen?«, fragte Hadley mit blitzenden Augen.
Mom antwortete nicht, sah sie nur ruhig an, und ihr geduldiges Abwarten war wie eine Erlaubnis: Jetzt durfte Hadley erschüttert sein und zusammenbrechen.
»Wir dachten, es wäre zu hart für dich, dabei zuzuschauen«, sagte Mom. »Er wollte dich gern sehen, aber nicht unter solchen Umständen. Nicht beim Auszug.«
» Ich habe hier doch alles zusammengehalten«, sagte Hadley mit leiser Stimme. »Ich sollte auch selbst entscheiden dürfen, was zu hart ist.«
»Hadley«, sagte Mom sanft und kam einen Schritt auf sie zu, aber Hadley wich zurück.
»Nicht«, sagte Hadley und schluckte die Tränen herunter. Denn es stimmte ja: Sie hatte wirklich alles zusammengehalten. Die ganze Zeit hatte sie dafür gesorgt, dass es weiterging. Aber jetzt merkte sie, wie sie selbst in Stücke ging, und als Mom sie schließlich doch in die Arme schloss, da wurden alle Unschärfen des vergangenen Monats wieder klar, und zum ersten Mal spürte Hadley, wie sich die Wut in ihr löste und von einer Traurigkeit verdrängt wurde, die den Blick auf fast alles andere verstellte. Sie presste ihr Gesicht an Moms Schulter, und so blieben sie sehr lange stehen: In Moms Armen weinte Hadley die Tränen eines ganzen Monats.
Sechs Wochen später traf Hadley sich in Aspen mit ihrem Vater zum Skiurlaub, und Mom verabschiedete sie am Flughafen mit der gleichen gemessenen Ruhe, die sie jetzt wohl dauerhaft ergriffen hatte, ein unerwarteter Frieden, ebenso zerbrechlich wie sicher. Hadley wusste nicht genau, ob es an Arizona gelegen hatte – der plötzliche Tapetenwechsel, der ständige Sonnenschein – oder an der harschen Endgültigkeit von Dads fehlenden Sachen bei ihrer Rückkehr. Jedenfalls hatte sich etwas verändert.
Eine Woche später bekam Hadley Zahnschmerzen.
»Zu viele Süßigkeiten aus der Minibar«, scherzte Mom am Nachmittag auf dem Weg zur Zahnarztpraxis, während Hadley die Hand an den Kiefer presste.
Ihr früherer Zahnarzt war kurz nach ihrem letzten Termin in den Ruhestand gegangen, und der neue war ein Mann Anfang fünfzig mit schütterem Haar, einem freundlichen Gesicht und gestärktem Kittel. Als er den Kopf durch den Türspalt ins Wartezimmer steckte, um sie hereinzurufen, sah Hadley, wie sich seine Augen bei Moms Anblick kurz weiteten. Die löste das Kreuzworträtsel einer
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