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Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition)

Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition)

Titel: Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer E. Smith
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ihrer selbst geworden; sie lagerten sich in ihrem Körper an wie gutes Essen, blühten in ihr auf wie ein Garten. Sie saßen so tief, waren so bedeutsam wie jedes andere Merkmal, das Dad an sie weitergegeben hatte: die blauen Augen, die strohblonden Haare, die Prise Sommersprossen auf der Nase.
    Oft kam er mit Büchern für sie nach Hause, zu Weihnachten oder zum Geburtstag oder ohne besonderen Anlass, manchmal waren es alte Ausgaben mit wunderschönem Goldschnitt, manchmal gebrauchte Taschenbücher, für ein oder zwei Dollar an der Straßenecke gekauft. Mom war immer genervt, vor allem, wenn er eine neue Ausgabe eines Buches mitbrachte, das er schon in seinem Arbeitszimmer stehen hatte.
    »Noch ein oder zwei Wörterbücher mehr, und dieses Haus bricht zusammen«, sagte sie dann, »und du kaufst sogar noch Doppelexemplare?«
    Aber Hadley verstand ihn. Sie sollte gar nicht unbedingt alle lesen. Vielleicht eines Tages einmal, aber für den Moment zählte vor allem die Geste. Er gab ihr das Wichtigste, was er zu geben hatte, auf die einzige Art, die er beherrschte. Er war Literaturprofessor, Geschichtenliebhaber, und errichtete ihr eine Bibliothek, so wie andere Männer ihren Töchtern vielleicht ein Haus bauten.
    Als er ihr also in Aspen die abgegriffene Ausgabe von Unser gemeinsamer Freund geschenkt hatte, nach allem, was passiert war, da war diese Geste irgendwie zu vertraut gewesen. Sein Weggang hatte sie verwundet, und die Absicht hinter diesem Geschenk verletzte sie noch mehr. Also hatte Hadley getan, was sie am besten kann: Sie hatte es einfach ignoriert.
    Doch als die U-Bahn sich jetzt unter den Straßen Londons entlangwindet, ist sie unerwartet froh, es dabeizuhaben. Seit Jahren hat sie nichts mehr von Dickens gelesen; zuerst hatte sie anderes, Besseres zu tun, und später, nimmt sie an, aus stillem Protest gegen ihren Vater.
    Es heißt, Bücher seien eine Art Flucht, doch dieses hier in der U-Bahn kommt ihr eher wie eine Rettungsleine vor. Sie blättert die Seiten um, und alles um sie herum verblasst: das Gewirr von Ellbogen und Handtaschen, die Frau in der Tunika, die ihre Fingernägel abknabbert, die beiden Teenager mit den dröhnenden Kopfhörern, sogar der Geiger am anderen Wagenende, dessen dünne Melodie sich durch die Menge schlängelt. Das Ruckeln des Zuges erschüttert ihren Schädel, doch ihre Augen klammern sich an den Worten fest, so wie eine Eiskunstläuferin sich beim Sprung vielleicht auf einen Punkt konzentriert, und so landet sie wieder sicher auf dem Boden.
    Hadley schreitet von einem Kapitel zum nächsten fort und vergisst völlig, dass sie das Buch eigentlich zurückgeben wollte. Es sind natürlich nicht die Worte ihres Vaters, aber er ist auf jeder Seite spürbar, und der Gedanke an ihn löst etwas in ihr aus.
    Kurz vor ihrer Haltestelle hört sie auf zu lesen und versucht, sich an den unterstrichenen Satz zu erinnern, den sie im Flugzeug entdeckt hat. Sie blättert das Buch durch, sucht nach irgendwelchen Tintenspuren und findet überrascht eine weitere Markierung.
    O ja, es gibt Tage, die des Lebens und des Sterbens wert sind , steht da, und Hadley hebt den Blick, spürt einen Ruck in der Brust.
    Heute Morgen noch schien ihr diese Hochzeit das Allerschlimmste auf der Welt zu sein, aber jetzt begreift sie, dass es viel schrecklichere Feierlichkeiten gibt, dass einem jeden Tag viel Schlimmeres zustoßen kann. Als sie mit anderen Fahrgästen aus der Bahn steigt, an den mit farbigen Kacheln geschriebenen Worten paddington station vorbeigeht, hofft sie nur, dass sie falsch liegt mit ihrer Vermutung, was sie hier erwartet.

12
    9:54
    EASTERN STANDARD TIME
    14:54
    GREENWICH MEAN TIME
    Draußen ist die Sonne endgültig aus ihrem Versteck gekommen, auch wenn die Straßen immer noch feucht und silbrig glänzen. Hadley dreht sich einmal im Kreis und versucht sich zu orientieren, sieht die weiß verputzte Apotheke, den kleinen Antiquitätenladen, die Reihen pastellfarbener Gebäude an der Straße. Eine Gruppe Männer in Rugbytrikots kommt mit geröteten Augen aus einem Pub, ein paar Frauen mit Einkaufstüten drängen sich auf dem Bürgersteig an ihr vorbei.
    Hadley schaut auf die Uhr: Fast drei Uhr nachmittags, und sie hat keinen Schimmer, was sie jetzt, wo sie am Ziel ist, tun soll. So weit sie sehen kann, sind keine Polizisten in der Nähe, keine Touristeninformation, keine Buchläden, keine Internetcafés. Als hätte man sie ohne Kompass und Karte in der Londoner Wildnis ausgesetzt, wie bei einer

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