Punktlandung in Sachen Liebe (German Edition)
dieser dämlichen Spielshows.
Sie wählt willkürlich eine Richtung und läuft los, nicht ohne sich zu wünschen, sie hätte vorm Verlassen der Hochzeit die Schuhe gewechselt. An einer Ecke ist ein Fish&Chips-Imbiss, und die Gerüche, die aus der Tür wehen, lassen ihren Magen knurren. Das Letzte, was sie gegessen hat, war die Packung Brezeln im Flugzeug, und zuletzt geschlafen hat sie kurz davor. Am liebsten würde sie sich jetzt irgendwo zusammenrollen und ein Nickerchen machen, aber sie läuft weiter, angetrieben von einer seltsamen Mischung aus Angst und Sehnsucht.
Nach zehn Minuten und zwei beginnenden Blasen an den Füßen ist sie noch an keiner einzigen Kirche vorbeigekommen. Sie geht in einen Buchladen und fragt, ob jemand eine Marienstatue hier in der Nähe kennt, doch der Buchhändler schaut sie so eigenartig an, dass sie wieder hinausgeht, ohne eine Antwort abzuwarten.
An den schmalen Bürgersteigen liegen Schlachtereien, in deren Schaufenstern riesige Fleischstücke hängen, Modeboutiquen, deren Kleiderpuppen viel höhere Absätze tragen als Hadley, Pubs und Restaurants, sogar eine Bibliothek, die sie zunächst für eine Kapelle hält. Doch während sie ihre Kreise durchs Viertel zieht, stößt sie auf keine Kirche, keinen Glockenturm, nichts – bis plötzlich doch eine auftaucht.
Hadley kommt aus einer kleinen Gasse und sieht auf der anderen Straßenseite ein schmales Bauwerk. Sie zögert einen Moment, blinzelt, als wäre es eine Sinnestäuschung, rennt dann darauf zu, wieder guten Mutes. Doch da fangen die Glocken an zu läuten, viel zu fröhlich, wie ihr scheint, und eine Hochzeitsgesellschaft quillt aus dem Portal.
Hadley hat gar nicht gemerkt, dass sie den Atem angehalten hat, doch jetzt strömt er aus ihr heraus. Sie wartet, bis alle Taxis vorbeigerast sind und sie sicher die Straße überqueren kann, um sich zu vergewissern, was sie schon weiß: keine Trauerfeier, keine Marienstatue, kein Oliver.
Trotzdem kann sie sich irgendwie nicht losreißen und beobachtet das Nachspiel der Trauung, ganz ähnlich der, die sie gerade miterlebt hat: die Blumenmädchen und die Brautjungfern, die Kamerablitze, die Freunde und Verwandten, alle in Lächeln gehüllt. Die Glocken beenden ihr Freudengeläut, die Sonne sinkt etwas weiter den Himmel hinab, und Hadley bleibt immer noch stehen. Nach einer langen Weile greift sie in die Handtasche und tut, was sie immer tut, wenn sie nicht weiter weiß: Sie ruft ihre Mutter an.
Ihr Handyakku ist beinahe leer, und ihre Finger zittern, als sie die Tasten drückt, weil sie so dringend Moms Stimme hören will. Kaum vorstellbar, dass sie sich bei ihrem letzten Gespräch gestritten haben, und noch weniger, dass es nicht mal 24 Stunden her ist. Die Szene, wie sie sich beide am Parkstreifen vor der Abflughalle verabschieden, scheint ihr aus einem ganz anderen Leben zu stammen.
Mom und sie waren sich immer sehr nah, aber als Dad sie verließ, hat sich etwas verschoben. Hadley war wütend, erfüllt von einem rasenden Zorn, den sie nicht für möglich gehalten hatte. Mom jedoch – Mom war eine gebrochene Frau. Wochenlang bewegte sie sich wie unter Wasser, mit roten Augen und schweren Füßen, erwachte nur zum Leben, wenn das Telefon klingelte, dann vibrierte ihr ganzer Körper in der Erwartung Dad würde ihr mitteilen, er habe es sich anders überlegt.
Was er aber nicht tat.
In jenen Wochen nach Weihnachten hatten ihre Rollen sich umgekehrt: Hadley hatte Mom jeden Abend das Essen ans Bett gebracht, hatte voller Sorge wach gelegen und dem Schluchzen ihrer Mutter gelauscht, hatte dafür gesorgt, dass immer eine frische Box Kleenex auf dem Nachtschrank stand.
Und das war das Unfairste von allem: Was Dad getan hatte, betraf nicht nur die Beziehung zwischen ihm und Mom, nicht nur zwischen ihm und Hadley, sondern eben auch zwischen Hadley und Mom. Der entspannte Rhythmus zwischen ihnen war spröde und kompliziert geworden, konnte jederzeit in Scherben gehen. Hadley hatte den Eindruck, sie würden niemals zur Normalität zurückkehren, würden immer zwischen Wut und Trauer hin- und herpendeln, und das Loch in ihrem Haus war groß genug, sie beide zu verschlucken.
Aber dann war es auf einmal vorbei.
Nach ungefähr einem Monat war Mom eines Morgens in Hadleys Schlafzimmertür erschienen, in ihrem inzwischen vertrauten Aufzug aus Kapuzenshirt und einer von Dads alten Flanell-Pyjamahosen, viel zu lang und zu weit für sie.
»Schluss damit«, hatte sie gesagt. »Lass uns von
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