Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
Sir?«
»Worüber sollte ich mich denn mit ihr streiten?«
»Nun wohl über nichts mehr«, entgegnete Hawes kühl.
Devlin sah zuerst sie und dann Rebus an. »Interessiert Sie der Tisch, Inspektor?«
Erst jetzt bemerkte Rebus, dass er mit den Fingern die Maserung des Holzes betastete.
»Neunzehntes Jahrhundert«, fuhr Devlin fort, »das Werk eines Kollegen, eines Anatomen.« Er blickte zunächst Hawes und dann wieder Rebus an. »Genau genommen habe ich doch etwas gesehen, ist jedoch vermutlich völlig belanglos.«
»Wie bitte, Sir?«
»Ja, einen Mann, der vor dem Haus stand.«
Rebus spürte, dass Hawes etwas sagen wollte, und kam ihr rasch zuvor: »Und wann war das?«
»Ein paarTage, bevor sie verschwunden ist, und dann noch einmal: am Vortag.« Offenbar war er sich der Wirkung seiner Worte durchaus bewusst. Hawes war das Blut zu Kopf gestiegen. Am liebsten hätte sie gebrüllt: Und das erzählen Sie uns erst jetzt? Rebus versuchte sich nichts anmerken zu lassen.
»Draußen auf der Straße?«
»Genau.«
»Und, haben Sie ihn deutlich gesehen?«
Wieder ein Achselzucken. »Anfang zwanzig, kurzes dunkles Haar, aber nicht kurz geschoren, nur gepflegt.«
»Niemand aus der Nachbarschaft?«
»Kann ich nicht genau sagen. Ich berichte Ihnen nur, was ich gesehen habe. Er schien auf etwas oder jemanden zu warten. Ich weiß noch, dass er auf die Uhr gesehen hat.«
»Vielleicht ihr Freund?«
»Oh nein, David kenne ich.«
»Tatsächlich?«, sagte Rebus. Er ließ den Blick noch immer über das Puzzle schweifen.
»Ja, oberflächlich. Wir haben uns ein paar Mal auf der Treppe unterhalten. Netter junger Bursche.«
»Was hatte er an?«, fragte Hawes.
»Wer? David?«
»Nein, der Mann, den Sie gesehen haben.«
Devlin schien über den wutsprühenden Blick, mit dem sie ihre Worte begleitete, geradezu beglückt. »Jackett und Hose«, sagte er und warf einen Blick auf seine Strickjacke. »Genauer kann ich es Ihnen leider nicht sagen, da ich mich nie für Mode interessiert habe.«
Und das entsprach der Wahrheit: Bereits vor vierzehn Jahren hatte er unter seiner grünen Chirurgenkluft eine ganz ähnliche Strickjacke getragen wie heute, mitsamt der unvermeidlichen Fliege in Schräglage. Die erste Autopsie, der man beiwohnte, prägte sich einem einfach unauslöschlich ein: Was man sah, roch und hörte und woran man sich im Laufe der Zeit dann allmählich gewöhnte. Das Kratzen, wenn ein Knochen freigelegt wurde, das Wispern des Skalpells, wenn es in das Gewebe eindrang. Es gab auch Pathologen mit einem unbarmherzigen Sinn für Humor, die Neulinge mit einer besonders drastischen Darbietung schockierten. Nicht so Devlin, der sich immer ganz auf die Leiche konzentriert hatte, als ob er mit ihr allein im Raum gewesen wäre. Er führte diesen letzten, intimen Akt des Filetierens mit einem Anstand aus, der fast etwas Rituelles hatte.
»Halten Sie es für denkbar, dass Sie uns eine etwas präzisere Beschreibung liefern könnten, wenn Sie sich die Situation noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen lassen?«, fragte Rebus.
»Das bezweifle ich. Falls Sie es allerdings für besonders wichtig halten...«
»Natürlich stehen wir mit den Ermittlungen erst am Anfang, Sir. Sie wissen ja selbst, dass man in dieser Phase keine Möglichkeit ausschließen darf.«
»Völlig richtig, natürlich.«
Rebus verfiel nun gegenüber Devlin in einen kollegialen Ton... und hatte damit Erfolg.
»Vielleicht sollten wir sogar ein Phantombild anfertigen«, fuhr Rebus fort. »Falls es sich bei dem Mann um einen Nachbarn oder um jemand handelt, den man hier kennt, dann können wir ihn gleich wieder von unserer Liste streichen.«
»Klingt plausibel«, pflichtete Devlin ihm bei.
Rebus setzte sich per Handy mit dem Gayfield Square in Verbindung und vereinbarte für den folgenden Morgen einen Termin. Hinterher fragte er Devlin, ob er ihm einen Wagen vorbeischicken solle.
»Ich glaube, ich finde den Weg noch allein. So gebrechlich bin ich nun auch wieder nicht.« Doch als er sich dann erhob und die beiden Polizisten zur Tür begleitete, schienen ihm das Aufstehen und Gehen doch einige Mühe zu bereiten.
»Nochmals vielen Dank, Sir«, sagte Rebus und schüttelte Devlin die Hand.
Der emeritierte Pathologe nickte nur und vermied es, Ha-wes anzusehen, die ihrerseits auf ein dankendes Wort verzichtete. Auf dem Weg in den nächsten Stock murmelte sie etwas, was Rebus nicht verstand.
»Wie bitte?«
»Ich hab gesagt: diese blöden Männer.« Sie unterbrach
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