Puppenspiel - Inspektor Rebus 12
passiert?«, fragte Rebus.
»Sieht nach einem Herzinfarkt aus. Nach dem Essen sind einige der Gäste mit ihren Brandygläsern auf die Empore hinausgetreten, um zu rauchen und zu plaudern. Sie haben sich gegen die Brüstung gelehnt.« Devlin zeigte nach oben. »Und dann ist er plötzlich ganz blass geworden und hat sich über das Geländer gebeugt. Zuerst haben die Umstehenden geglaubt, dass ihm übel sei. Doch dann ist er einfach in sich zusammengesackt und durch das Gewicht seines Oberkörpers nach unten gezogen worden.«
Rebus starrte auf den Marmorboden und sah ein paar Schritte entfernt eine Blutlache. Ein Stück abseits standen einige Herren, andere Gäste hatten sich draußen auf dem Rasen eingefunden. Sie zogen nervös an ihren Zigaretten und sprachen über das schreckliche Ereignis, dessen Zeuge sie soeben geworden waren. Als Rebus sich wieder in Devlins Richtung wandte, hatte er plötzlich das Gefühl, dass der alte Mann ihn wie ein Studienobjekt in einem Einmachglas inspizierte.
»Alles in Ordnung?«, erkundigte sich Devlin. Rebus nickte. »Sie waren ziemlich eng befreundet mit ihm, nicht wahr?«
Rebus schwieg. Dann erschien Sandy Gates auf der Bildfläche und betupfte sich das Gesicht mit einer Serviette, die er anscheinend aus dem Bankettsaal hatte mitgehen lassen.
»Einfach grauenhaft«, war sein einziger Kommentar. »Und an einer Autopsie dürften wir auch kaum vorbeikommen.«
Dann wurde die mit einer Decke verhüllte Leiche auf einer Bahre davongetragen. Rebus unterdrückte den Impuls, die Sanitäter aufzuhalten, um noch einen letzten Blick auf Conor Leary zu werfen. Er wollte den Geistlichen lieber als jenen fröhlich lachenden Mann in Erinnerung behalten, mit dem er noch wenige Stunden zuvor angestoßen hatte.
»Seine Rede war einfach faszinierend«, sagte Devlin, »so
etwas wie eine umfassende Geschichte des menschlichen Körpers. Das ganze Spektrum: von der heiligen Kommunion bis zu Jack the Ripper als Haruspex.«
»Als was?«
»Als Seher, der aus den Eingeweiden ausgewählter Opfertiere die Zukunft vorhersagt.«
Gates rülpste. »Ich hab ohnehin nur die Hälfte kapiert«, sagte er.
»Und die andere Hälfte hast du verschlafen, Sandy«, sagte Devlin lächelnd. »Er hat die ganze Zeit frei gesprochen, ohne eine einzige Notiz«, fuhr er bewundernd fort. Dann ließ er den Blick wieder zu der Empore im ersten Stock hinaufwandern. »Der Sündenfall des Menschen - damit hat er angefangen.« Er kramte in der Jackentasche nach einem Taschentuch.
»Hier«, sagte Gates und reichte ihm die Serviette. Devlin schnauzte sich vernehmlich.
»Zuerst der Sündenfall des Menschen und dann sein eigener Sturz von der Empore«, sagte Devlin. »Scheint so, als ob Stevenson wirklich Recht gehabt hätte.«
»Womit?«
»Er hat Edinburgh einmal eine ›Schwindel erregende Stadt‹ genannt. Vielleicht gehört zu diesem Ort tatsächlich ein gewisses Schwindelgefühl...«
Rebus glaubte Devlin zu verstehen. Schwindel erregende Stadt... jeder ihrer Bewohner war im Fallen begriffen, langsam, fast unmerklich...
»Und außerdem war das Essen miserabel«, sagte Gates, als ob er Conor Learys Ableben nach einem opulenten Festmahl weniger traurig gefunden hätte. Rebus hatte keinen Zweifel daran, dass Conor selbst das ähnlich gesehen hätte.
Dr. Gurt stand zusammen mit einigen anderen im Freien und rauchte eine Zigarette. Rebus ging zu ihm hinüber.
»Ich hab versucht, Sie anzurufen«, sagte Gurt, »aber da waren Sie schon unterwegs.«
»Professor Devlin hat mich benachrichtigt.« »Ja, ich weiß. Ich glaube, er hat gespürt, dass Sie und Conor sich nahe standen.« Rebus nickte bedächtig. »Der Mann war schwer krank, wissen Sie?«, fuhr Gurt dann fort. Er sprach mit derselben monotonen Stimme, mit der er auch seine Berichte diktierte. »Als Sie heute Abend gegangen sind, hat er über Sie gesprochen.« Rebus räusperte sich. »Und was hat er gesagt?« »Er hat gesagt, dass er Sie manchmal als Strafe des Himmels empfunden hat.« Gurt schnipste die Asche von seiner Zigarette. Für den Bruchteil einer Sekunde lag sein Gesicht im Blaulicht der Rettungswagen. »Aber er hat gelacht, als er das gesagt hat.«
»Ja, er war wirklich ein Freund«, sagte Rebus und fügte innerlich hinzu: Und ich hob ihn hängen lassen. Es war nicht die einzige aufrichtige Freundschaft, die er nicht gepflegt hatte, weil er lieber allein in seinem dunklen Wohnzimmer im Sessel hockte. Und bisweilen versuchte er sich sogar selbst davon zu
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