Purgatorio
Erwartung des Todes darniederlag, sagte ich mir, das sei vielleicht die Art und Weise, das Leben wiederzugewinnen. Da verwarf ich die bereits angefangene Erzählung und begann diesen Roman zu schreiben, der voll ist von dem, was es nicht gibt. Im Mittelpunkt meines Magmas stand wiederum Emilia, sie hatte mich im Toscana bei der Hand genommen und zu den Lichtern ihres Labyrinths geführt. Man kann sagen, ich hätte sie gefunden, ehe ich sie suchte. Sie wurde von der Hoffnung, Simón wiederzusehen, zu neuem Leben erweckt, ich von diesem Buch.
Ich war eben dabei, sie zu beschreiben, über ihren Zeichentisch und die halbfertige
Eruv
karte gebeugt, als sie mich anrief, um zu fragen, ob es Simón sei, der in ihrem Spiegel zu sehen war. Ich glaube, ich habe bereits gesagt, dass ich nur mich erblickte und hinter mir das Foto des jungen Simón auf dem Nachttisch. Seit über einer Woche habe ich die Suche nach ihr aufgegeben. Ich bin sicher, früher oder später wird sie mich anrufen, denn die Erinnerungen, die ich mittrage, gehören auch ihr, und sie wird mich darum bitten, sie dort zu lassen, wo sie waren. Bevor ich sie aus den Augen verlor, glaubte ich in einem der Fenster ihrer Wohnung Licht zu sehen und klingelte. Ich musste mich geirrt haben – es machte niemand auf. Ich schaute noch einmal hinauf, und die Lichter waren erloschen.
Am Sonntagabend bestellt Emilia wieder ein japanisches Mahl und verzehrt es schweigend mit Simón. Sie hat die bei Pino’s gekaufte Flasche Sake auf den Tisch gestellt, und ohne es zu merken, trinken sie sie beinahe halb aus. Der köstliche Reiswein hüllt die beiden in einen marihuanaähnlichen Dunst. Emilia hat dieses Vergnügen zwei späten Filmen von Ozu abgeschaut, die sie auf DVD gesehen hat. So, wie Ozus Frauen ihr Unglück im Sake ertränken, so hat sie sich im Lauf des Tages von den letzten Resten ihres Unglücks befreit und den Schlussstrich am Rechner gezogen. Vor dem Abendessen hat sie dem Personalchef von Hammond einen lakonischen Brief geschrieben. »Ich muss einige Tage verreisen.« Und darunter: »Persönliche Gründe.« Sie erträgt die obligatorischen Routinen der Arbeit nicht mehr. Sie mag nicht mehr in das Kämmerlein mit den Karten zurück, sie will sich nie mehr von dem Menschen trennen, der wiedergekommen ist, um sie mitzunehmen. Sie hat mehr gelitten, als sie ertragen kann. Den Liebenden ist die Welt feindlich gesinnt, hat sie gedacht. Sie entzieht sie der Liebe, entfernt sie von der eigentlichen Mitte des Lebens. Warum soll sie die Liebe verlieren und sich etwas anderem zuwenden? Wo soll sie hin mit der verschwendeten, ungelebten Liebe? Jetzt ist es ihr nicht mehr wichtig zu wissen, was es jenseits gibt. Wichtig ist ihr einzig und allein, dass sie nicht von dem Ort weggeht, an dem sie angekommen ist. Ich bin glücklich, sagt sie sich immer wieder, ich darf in diesem Glück hinauf- oder hinunter-, aber nicht aus ihm hinausgehen.
Simón ist blasser. Sie sieht, dass über sein Gesicht ein träges Lächeln gleitet, das vielleicht zu einem anderen gehört. Emilia macht es Sorgen, dass sich sein Lächeln genau dann auf sein Gesicht gesetzt hat, als das Halbdunkel die Formen der Dinge verschwimmen lässt, so dass ihr das Bild entgleiten wird, am Ende für immer. Das ist das Übel der Liebe, sagt sie sich: die geliebten Gesten, die gehen und im Gedächtnis schließlich als die Gesten von jemand Beliebigem zurückbleiben. Sie steht auf und legt eins der Jarrett-Konzerte auf. Die Musik erklingt sehr leise, und sie möchte von Simón liebkost werden. Er ist zärtlich zu ihr gewesen, obwohl sie in seiner Zärtlichkeit eine gewisse Distanz herausgespürt hat. Sie haben besser Liebe gemacht denn je, das gute Lieben ist immer einfach gewesen zwischen ihnen, das Schwierige war die Zärtlichkeit. Wenn sie es genau bedenkt, ist dies vielleicht der Preis, den sie dafür bezahlen muss, dass in den ersten Ehemonaten auch sie sehr distanziert war. Erst in Tucumán hatte sie sich gehen lassen und erkennen können, dass, wenn der Körper des anderen in sie eindrang, sie ebenfalls in den anderen Körper eindrang. Diese einzige Nacht war auch die letzte gewesen – bis gestern. Die einmalige Ekstase aus der Vergangenheit hat sich wiederholt, und sie möchte, dass sie nie endet, sie möchte sich in der Liebe erschöpfen, als wäre das Leben nur das, der endlose Orgasmus, von dem sie dreißig Jahre lang geträumt hat. Er soll sie also liebkosen. Jetzt sitzt Simón im Bett, und sie legt
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