Purpurschatten
seine Bewegungen fahrig. Brodka war an einem Punkt angelangt, an dem er nicht mehr weiterwußte. Er konnte nicht begreifen, daß die Telefonkassetten, von denen er sich so viel versprochen hatte, ohne jeden Nutzen sein sollten. Arnolfo Carracci ein Betrüger? Brodka wollte nicht daran glauben.
Vielleicht war es unüberlegt, als Juliette vorschlug, in jener Trattoria auf der Piazza Navona zu Abend zu essen, in der sie sich zum erstenmal mit Claudio getroffen hatte. Doch wie sich bald herausstellen sollte, hatte gerade dieser Entschluß unerwartete Folgen.
»Ich dachte, du kennst Rom überhaupt nicht«, bemerkte Brodka verwundert, während sie an einem der kleinen, weißgedeckten Tische Platz nahmen.
»Ich kenne die Stadt auch nicht«, überspielte Juliette die Situation, »aber ich habe gelesen, daß die Trattorien an der Piazza Navona die besten in Rom sind.«
Damit gab sich Brodka fürs erste zufrieden, auch wenn er von Juliettes Erklärung nicht so ganz überzeugt zu sein schien. Doch er hatte wichtigere Probleme.
Brodka erkundigte sich nach Einzelheiten über Collins Selbstmord. Er wollte alles ganz genau wissen und merkte anfangs gar nicht, wie sehr er Juliette mit seinen Fragen quälte. Dennoch erzählte sie alles, was man ihr berichtet hatte.
Als Brodka sie auch noch fragte: »Wie war denn die Beerdigung?«, brach Juliette in Tränen aus und flüsterte mit gepreßter Stimme: »Kannst du dir nicht vorstellen, daß ich jetzt darüber nicht reden will?«
»Entschuldige.« Brodka nahm ihre Hand. »Der Tod deines Mannes ging dir offenbar näher, als ich dachte.«
»Ja«, erwiderte Juliette und tupfte sich die Tränen aus den Augenwinkeln, »aber nicht so, wie du denkst.«
»Was soll das heißen?«
Ihr Gespräch wurde für einen Augenblick unterbrochen, weil der Ober die Bestellung – natürlich Fritto misto – aufnahm. Als er sich entfernt hatte, antwortete Juliette: »Brodka, du ahnst nicht, welches Ekel Hinrich in Wirklichkeit war. Und mit diesem Mann war ich fünfzehn Jahre verheiratet.« Sie schüttelte den Kopf.
»Ich kannte ihn«, wandte Brodka ein. »Zwar nur flüchtig, aber das hat gereicht.«
Eine Zeitlang aßen beide schweigend, bis ein Besucher die Trattoria betrat. Als er Juliette erkannte, begrüßte er sie mit einer freundlichen Verneigung.
Sie erwiderte den Gruß mit einem Kopfnicken.
»Du scheinst in dieser Gegend bekannt zu sein«, meinte Brodka.
»Quatsch. Ich habe dir doch von dem Schriftsteller erzählt, dem ich begegnet bin.«
»Dieser dicke Kerl?«
»Genau. Sperling. Er ist ein Nachtmensch. Er kommt gerade zum Frühstück.«
»Zum Frühstück?« Brodka lachte leise, als wollte er sich selbst ein wenig aufmuntern, doch es gelang ihm nicht, die Stimmung zu heben.
»Übrigens«, meinte Juliette und schob ihren Teller beiseite, auf dem noch die Hälfte des Fischgerichts lag, »habe ich mich geirrt, was Norbert betrifft. Er hat nichts mit der Vatikanmafia zu tun. Die Purpurschlinge lag nur deshalb in Norberts Wohnung, weil er einen neuen Freund hatte.«
»Laß mich raten: Titus.«
»Richtig.«
»Hat dieser Norbert Näheres über Titus erfahren?«
»Nein, überhaupt nichts. Im Grunde wußte er nur, daß Titus schwul war.«
»Und wo ist er jetzt? Titus, meine ich.«
»Keine Ahnung. Er hat sich auch bei Norbert einfach aus dem Staub gemacht. Der Bursche scheint wirklich ein übler Kerl zu sein; gottlob, daß wir ihn los sind!«
Brodka beobachtete seit geraumer Zeit den dicken Schriftsteller. Sperling hatte eine große Stoffserviette an einer Goldkette befestigt, die er auf der Brust trug. Es war ein interessantes Schauspiel, wie er seine Kaffeetasse zum Mund führte: Da seine Leibesfülle einen weiteren Weg vom Tisch zum Mund erforderlich machte als bei Menschen von normalem Leibesumfang, schützte Sperling sich und seine Kleidung vor dem Überschwappen des Kaffees, indem er die Linke mit dem Handrücken nach oben unter die Tasse hielt.
Die Szene wirkte so komisch, daß Brodka schmunzeln mußte.
»Was grinst du denn so?« erkundigte Juliette sich etwas unsicher.
Brodka hielt die Hand vors Gesicht. »Er ist ein echtes Unikum, dieser Schriftsteller. Wie, sagst du, heißt er?«
»Sperling, Paul Sperling«, raunte Juliette ihm den Namen zu. »Er behauptet, Rom besser zu kennen als jeder Römer.«
»Ach.« Brodka betrachtete den Dicken aufmerksam. »Dieser Schriftsteller kennt sich hier also wirklich aus?«
»Er behauptet es zumindest. Willst du seine Rom-Kenntnisse
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