Purpurschatten
beschränkte sich seinerseits auf die nötigste Konversation.
Wenn Brodka nicht gerade wie ein Tiger im Käfig zwischen Bett und Fenster hin und her trottete, lag er auf dem Bett, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, starrte zur Decke und dachte über neue Fluchtmöglichkeiten nach. Aber sämtliche Pläne, die er ausbrütete, scheiterten an Jo. Dieser Mistkerl war sein größter Feind.
Die Tage zogen sich immer zäher dahin; ihr monotoner Ablauf schien von der scheußlichen Deckenlampe bestimmt zu werden, die bei Einbruch der Dämmerung wie von Geisterhand aufflammte und pünktlich um 19 Uhr erlosch. Die Bevormundung ging so weit, daß Brodka nicht einmal in der Lage war, das Licht in seinem Zimmer nach eigenem Willen ein- und auszuschalten.
Brodka hatte jegliches Zeitgefühl verloren, seit er sich in der Anstalt befand; er wußte nur, daß seit der Geschichte mit Jo drei Tage vergangen waren. An diesem dritten Tag starrte Brodka wieder einmal auf die Deckenlampe, als ihm eine geniale Idee kam.
Abends, nachdem das Licht gelöscht war und niemand ihn durch den Spion in der Tür beobachten konnte, zog er das Radiokissen aus der Steckdose und prüfte das Kabel. Für seine Zwecke war es durchaus brauchbar. Es gab nur ein Problem: Brodka hatte kein Werkzeug. Ein Messer oder eine Zange wären hilfreich gewesen.
Durch das vergitterte Fenster fiel das fahle Mondlicht. Es reichte gerade, um sich zu orientieren. Brodka nahm das Hörkissen und riß das Kabel heraus. Es war keine Armspanne lang, aber lang genug.
Mit den Zähnen zog er den Stecker vom Kabel ab und legte die zwei blanken Drahtenden am einen Ende bloß; dann nahm er das andere Ende des Kabels und kaute die Isolierung von den beiden Drähten. Er stand auf und verschob sein Bett am Fußende, so daß es schräg im Zimmer stand.
Das eine Ende des Drahtes befestigte Brodka am Kopfende des eisernen Bettgestells. Längst hatte er an der Wand, hinter dem Nachttisch verborgen, eine Steckdose ausgemacht. Brodka rückte den Nachttisch beiseite, so daß er das andere Ende des Kabels in den linken Pol der Steckdose schieben und das Bettgestell unter Strom setzen konnte.
Jo würde der erste sein, der am Morgen ins Zimmer kam.
Brodka legte sich ins Bett. An Schlaf war nicht zu denken. Ein um das andere Mal überdachte er seinen Plan. Er wußte, daß seine Flucht nur gelingen konnte, wenn alles sehr schnell, zugleich jedoch ohne Hast ablief.
Der Stromschlag, den der Pfleger abbekommen würde, sobald er das Bett berührte, würde ihn nicht töten, denn das Bett stand auf einem Bodenbelag aus Linoleum, der eine gute Isolation darstellte; aber er würde den Kerl für Sekunden, vielleicht sogar Minuten außer Gefecht setzen. Diese kurze Zeitspanne war Brodkas Chance – die vermutlich letzte Chance, ohne psychischen Schaden aus dieser Anstalt herauszukommen.
Draußen dämmerte der Tag. Brodka wurde zunehmend aufgeregt. Er fror, und seine Hände zitterten leicht, als er den Draht an dem verschobenen Bett anbrachte und den Nachttisch vor die Steckdose schob. Dann trat er ans Fenster, blickte auf das gegenüberliegende Gebäude und wartete.
Brodka hatte Zeit genug gehabt, Jo zu beobachten. Er war ein Widerling, gewiß, aber wenn er ihm etwas Positives abgewinnen sollte, so war es sein Ordnungssinn, der nicht duldete, daß etwas nicht an seinem Ort war. Mit mehr Bedacht als die Nonne hatte er stets sein Bett gerichtet und den hölzernen Stuhl, so er nicht an seinem vorgesehenen Platz stand, an die Wand neben seinem Bett gestellt. Ein schräg stehendes Bett mußte seinen ausgeprägten Ordnungssinn aktivieren.
Jo kam nicht. Warum kam er nicht?
Verdammt, was ist da los, fragte sich Brodka, der immer nervöser wurde. Vor der Tür seines Zimmers hörte er bereits die ersten Geräusche des Tages.
Für einen Augenblick wurde er unsicher. Ihm kamen Bedenken, was geschehen würde, falls nicht der Pfleger, sondern jemand anders in sein Zimmer trat. Er hatte den Gedanken noch nicht zu Ende geführt, als er hörte, wie der Schlüssel im Schloß gedreht wurde.
Auf dem Fensterglas spiegelte sich die Gestalt Jos. Brodka atmete auf.
»Was soll denn das?« fragte Jo schroff als er das verschobene Bett sah.
Brodka antwortete nicht.
Wie er erwartet hatte, ging Jo geradewegs auf das Bett zu, um es in die richtige Position zu schieben. Alles lief genau nach Plan: Jo griff nach dem Fußende des Bettes. Ein Schrei, als hätte ihn ein Pfeil getroffen. Brodka drehte sich um. Er sah, wie
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