Pusteblume
Seit Fintans Diagnose bekannt war, hatte Liv vorgeschlagen, er solle sich anderen mit der gleichen Krankheit anschließen. Sie hatte auch hinzugefügt, daß sie alle in eine entsprechende Gruppe gehen sollten – für Mütter von Krebskranken, Partner von Krebskranken, Geschwister von Krebskranken, Freunde von Krebskranken.
»Katherine, ich weiß, daß ich angeblich stark bin, und keiner mag es, wenn jemand in Selbstmitleid zerfließt, aber ich muß dir etwas gestehen«, sagte Fintan.
»Was denn?«
»Ich habe Angst vor den Schmerzen. Ich habe furchtbare Angst, daß ich unter qualvollen Schmerzen sterben muß und daß sie mir nicht genug Morphium geben.«
»Dazu wird es nicht kommen«, sagte Katherine ohne rechte Überzeugung. »Ah, da ist Sandro.«
Sandro warf einen Blick auf Fintan, stellte die Getränke hin, nahm einen Reiseprospekt und fing an zu lesen: »Sans Souci Lido, Jamaika. Luxushotel, alles inklusive, Privatstrand, Wassersportmöglichkeiten, Reflexzonenbehandlung, Aromatherapie, Restaurants mit karibischer und europäischer Cuisine…«
47
T homas, willst du mich heiraten?« Thomas sah Tara mit glänzenden Augen an. »Tara«, sagte er mit gefühlvoller Stimme, »ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
»Sag einfach ja«, erwiderte sie.
»Dann sage ich – ja! Ich wäre hoch erfreut. Geehrt.« Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte Tara. Beryl kam und gratulierte ihr mit einem breiten Lächeln, und Tara stellte ihren Futternapf in die Geschirrspülmaschine. Aber Moment mal – sie hatten gar keine Geschirrspülmaschine. Und Beryl lächelte sie nie an, Beryl haßte sie. Da rief Thomas: »Wie bitte? Ich soll dich heiraten? Ich dachte, du hättest mich gefragt, ob ich dein ganzes Geld haben will. So ein Fehler kann jedem mal passieren.« Und im nächsten Moment wachte Tara mit klopfendem Herzen auf.
Tara hatte in letzter Zeit häufiger Alpträume gehabt, oft dann, wenn sie noch wach war. Und immer handelten sie davon, daß sie Thomas einen Heiratsantrag machte.
Sie gab Fintan die Schuld. Und Katherine Casey, die einen Felsklumpen da hatte, wo bei anderen das Herz saß. Aber am meisten machte sie ihre Kollegen verantwortlich. In erster Linie Ravi. Mittwochmittag hatte er in dem nahezu leeren Büro zu ihr rübergerufen: »Guck nicht so traurig! Möchtest du den Deckel von meiner Mousse au chocolat ablecken?«
»Danke.« Zögernd nahm Tara den runden Aluminiumdeckel entgegen und leckte ihn halbherzig ab, während Ravi den Kopf zurücklegte und den Inhalt des Bechers in seinen Mund kippte, wobei er manchmal mit dem Finger nachhelfen mußte.
Dann riß er die Verpackung von einem Schinkensandwich auf. »Möchtest du an dem Papier riechen?« bot er ihr freundlich an.
Schweigend nahm sie das Angebot an.
Nachdem er das Sandwich mit wenigen Bissen vertilgt hatte, zog er ein Crunchie aus der Tasche und rief: »Crunchies! Gesund und voller Nährstoffe.«
Neidisch sah Tara zu, wie er es im Nu verschlungen hatte.
»Wie geht’s Fintan?« fragte er, den Mund voll mit Honigmasse und Milchschokolade.
Tara dachte nach. Gute Frage. Wie ging es Fintan denn? Die Schwellung an seinem Hals war nicht im geringsten zurückgegangen. Auch nicht die Knoten auf seiner Bauchspeicheldrüse, die jeder fühlen konnte – nicht, daß man es unbedingt wollte –, indem man auf die linke Seite drückte. Sollte sie erwähnen, wie unglücklich er war, als er herausfand, daß die Chemotherapie ihn unfruchtbar machen würde? Und daß der Onkologe gemeint hatte, es sei ja nicht so schlimm, weil Fintan schwul war?
»Er kommt am Samstag raus«, sagte Tara. Das klang wenigstens positiv.
»Es geht ihm also besser. Zum Glück!«
»Es geht ihm nicht besser!« widersprach Vinnie und sah mit strengem Blick von seiner Arbeit auf. »Es ist nicht so, als hätte er sich den Arm gebrochen oder den Fuß verstaucht. Der Mann hat Krebs, das ist man nicht nach ein paar Wochen im Krankenhaus los. Das dauert Monate!« Er rieb sich nervös die kahler werdende Kopfhaut und wandte sich wieder seinem Bildschirm zu.
Tara und Ravi steckten die Köpfe enger zusammen und setzten die Unterhaltung leiser fort.
»Der Druck auf Vinnie steigt«, sagte Ravi. »Sein Schwanz liegt endgültig auf dem Schafott, und er ist in Panik.«
»Mach dir nichts draus«, sagte Tara leise. »Und es besteht immerhin eine Chance, daß es Besserung für Fintan gibt. Wir wissen es einfach noch nicht. Manchmal muß man sich der Behandlung neun Monate unterziehen, bevor man
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