Pusteblume
weiß, ob sie angeschlagen hat.«
»Warum lassen sie ihn dann aus dem Krankenhaus?«
»Weil er nicht unbedingt da sein muß. Danach kriegt er die Chemotherapie zweimal im Monat ambulant.«
»Zweimal im Monat?« sagte Ravi skeptisch. »Das ist doch nicht genug. Die sollen die Dosis erhöhen. Verdoppeln. Damit es wirkt.«
Tara hatte einen riesigen Knoten im Magen. Wenn es doch so einfach wäre! Man konnte die Dosis nicht endlos erhöhen, wenn man den Patienten nicht damit umbringen wollte.
»Bleiben seine Mutter und seine Brüder die ganzen neun Monate da?«
»Nein, sie fliegen am Sonntag zurück. Beziehungsweise JaneAnn und Timothy fliegen.
Ravi packte Tara vor Aufregung bei den Schultern. »Heißt das…
l
Heißt das, Milo bleibt hier?«
»Nicht nur bleibt er hier«, sagte Tara bedeutungsvoll, »sondern er bleibt auch – bei wem wohl?«
Ravi verschlug es fast die Sprache. »Bei Liv?« quiekte er. »Das ist ja scharf.«
»Nur für ein paar Wochen«, schränkte Tara ein.
»Und was ist mit Lars? Hat sie es ihm gesteckt?«
»Hat sie. Gestern abend.«
»Oh. Das hätte ich gern gehört.«
»Das wäre gegangen. Sie hat das Telefon auf Lautsprecher gestellt, als sie mit ihm redete.«
Ravi war fast sprachlos vor Enttäuschung. »Warum hast du mir das nicht gesagt? Ich wäre zu gern dabeigewesen.«
»Tut mir leid, tut mir wirklich leid. Aber in letzter Zeit war alles etwas viel. Ist dir vielleicht schon aufgefallen. Außerdem war es längst nicht so lustig, wie man denken könnte. Sie haben nämlich beide schwedisch gesprochen.«
»Mist.«
»Tut mir leid, Ravi, wirklich.«
»Hat er geweint?«
Tara zögerte einen Moment, nickte aber dann.
»Ach, Mist. Hat er gesagt, er würde seine Frau verlassen, und hat sie darauf gesagt, es sei zu spät?«
Taras Blick wich Ravis anklagenden Augen aus. »Ich kann kein Schwedisch, aber ich glaube schon«, meinte sie.
»Hat er gesagt, er würde alles tun, und hat sie darauf geantwortet, es gebe nichts mehr, was er tun könnte?«
Tara ließ beschämt den Kopf hängen.
»Und ich kann mir nicht einmal die Zusammenfassung am Sonntag im Fernsehen ansehen«, beklagte Ravi sich.
Sie saßen schweigend da.
»Hast du dich mit Katherine zerstritten?« fragte Ravi plötzlich.
»Wie kommst du darauf?«
»Weil die durchschnittliche Anzahl deiner Telefonate pro Tag seit letztem Freitag um siebzehn Komma vier Prozent zurückgegangen sind. Teddy hat das mit einem Spezialprogramm ausgerechnet. Was ist passiert?«
»Nichts.«
»Komm, erzähl es mir! Ich verstehe es sowieso nicht.«
Die Erleichterung, jemanden zu haben, der so unkompliziert war wie Ravi! Plötzlich war ihr Bedürfnis, jemandem das Herz auszuschütten, überwältigend. Tara machte den Mund auf, und alles strömte hervor, wie Wasser bei einem geborstenen Damm. Mit unterdrückter Stimme, aber in einem Ton, der sagen wollte: Und du glaubst nicht, was dann passiert ist! erzählte sie Ravi von Fintans unglaublicher Drohung, daß er sterben würde, nur um sie zu demütigen, wenn sie Thomas nicht verließe oder ihn bitten würde, sie zu heiraten. Sie erzählte von dem schrecklichen Streit mit Katherine – erwähnte aber nicht, daß Katherine sie fett genannt hatte. Sie berichtete von den O’Gradys, die sie ansahen, als hätte sie Fintan mit einem Schlachtermesser angegriffen, und von ihrem eigenen nicht kleinzukriegenden Aberglauben. »Ich glaube ihm, wenn er sagt, er wird sterben und mich verfolgen, wenn ich nicht das tue, was er verlangt«, gestand sie. Zum Abschluß sagte sie fröhlich: »Fintan ist total übergeschnappt, findest du nicht?«
Ravi sagte gar nichts. Ein Gedanke nach dem anderen huschte über sein Gesicht, so wie ziehende Wolken eine Landschaft abwechselnd in Licht und Schatten tauchen.
»Du brauchst nur zu nicken, Ravi«, sagte Tara ängstlich.
Ravis glattes, jungenhaftes Gesicht drückte Verunsicherung aus. »Aber Fintan ist dein bester Freund«, fing er schließlich an. »Er würde dir doch keinen Kummer machen wollen. Du kennst ihn doch, seit du vierzehn bist, stimmt’s?«
Tara nickte zögernd.
»Und jetzt bist du – was? – achtundzwanzig?«
»Einunddreißig, du Riesentrottel.«
»Wirklich? So alt?«
»Ja, so alt.«
»Na gut. Und wenn man jemanden so lange kennt, ist er nicht gegen einen«, sagte Ravi mit einem gewinnenden Lächeln. Das schien ihm sehr einleuchtend. Warum sah sie also immer noch so bekümmert aus?
»Ravi, ich glaube, du hast nicht richtig zugehört«, sagte sie. »Er
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