Pusteblume
ein einziges Mal hatte sie das gehabt, was sie sich wünschte, nämlich die Oberhand.
Die Angst, verlassen zu werden, führte dazu, daß sie diese Situation vorwegzunehmen versuchte. Sie konnte es nicht ertragen, so lange zu warten, bis der Mann zu der Erkenntnis gelangte, daß sie nur eine normale Frau war und nicht das geheimnisvolle Wesen, das er sich erträumt hatte. Sie nahm die Ereignisse vorweg und verhielt sich von Anfang an wie eine psychotische Hysterikerin. Um damit den unvermeidlichen Ausgang zu beschleunigen. Und so schleppte sie sich durch das Leben – lange Phasen der Enthaltsamkeit, durchbrochen von kurzen Liebesaffären, gefolgt von ausgedehnten Phasen des Wundenleckens. Jedesmal, wenn ein Mann das Interesse an ihr verlor und andeutete, daß sie ihm nicht genügte, wurde die alte Lawine des Schmerzes losgetreten.
Wenn sie die Dinge klar sehen konnte, erkannte sie, daß sie in der Vergangenheit verhaftet war, und das war nicht normal. Sie hatte bis zu ihrem siebenundzwanzigsten Lebensjahr gebraucht – also bis vor vier Jahren –, um den Gedanken zuzulassen, daß es vielleicht die Nachricht vom Tod ihres Vaters so kurz nach der ersten Enttäuschung war, die sie so sehr aus der Bahn geworfen hatte. Schließlich wird jeder einmal sitzengelassen, und nur die, die eine Macke haben, überwinden es nicht. Doch die doppelte Verletzung hatte die Wirkung, daß sie wie eingeschlossen war, hinter einer Mauer. Auf diese Weise waren zwölf Jahre vergangen, und sie konnte wirklich nicht sagen, wo die Zeit geblieben war.
Dann kam der Tag vor zwei Monaten, als sie dem neuen Werbeleiter Joe Roth vorgestellt wurde, und er fing an, sie auf eine Art und Weise mit Aufmerksamkeit zu überschütten, die ihr beängstigend vertraut war.
60
A
ber diesmal habe ich es richtig gemacht,
dachte Katherine nicht ohne Stolz und betrachtete das zerwühlte Bett. Die Leere nach Joes Abschied war verflogen, jetzt war Katherine aufgekratzt und überdreht nach der Nacht mit ihm.
Sie nahm ein Kissen und preßte es an ihr Gesicht. Gierig atmete sie Joes Geruch ein. Die Erinnerung ließ ein Prickeln der Erregung durch sie hindurchströmen, und sie dehnte und wand sich lustvoll. Sie mußte es unbedingt jemandem erzählen. Es war schon fast Mittag – zu früh, um Tara anzurufen?
Oh, Himmel – Tara! Was war gestern nur passiert? Katherine ging zum Telefon, erreichte aber nur Taras Anrufbeantworter. Sie versuchte es mit Taras Mobiltelefon und wurde mit der VoiceMail verbunden. Dann wählte sie Livs Nummer und hatte es mit
deren
Anrufbeantworter zu tun. Sie hinterließ eine Nachricht und rief Fintan an.
»Hallo«, sagte er unfreundlich.
»Ich bin’s. Soll ich vorbeikommen?«
»Jetzt nicht. Heute abend.«
»Oh, na gut. Du kannst mich auf meinem Mobiltelefon erreichen, wenn du es dir anders überlegst.«
Plötzlich wußte sie nicht, was sie tun sollte. Es kam ihr so vor, als wäre dies der erste Sonntag seit Monaten, an dem die O’Gradys nicht bei ihr waren. Sie war es nicht gewöhnt, Zeit für sich zu haben. Besonders dann nicht, wenn das Beste vom Tag schon passiert war.
Sie hätte die Wohnung von oben bis unten saubermachen können, aber sie war zu aufgedreht für langweiliges Putzen. Sie hätte den Tag auch vor dem Fernseher verbringen und sich die Zusammenfassungen der Serien von der Woche ansehen können. Aber sie fand, daß ihre Fernbedienung sie anklagend ansah. Katherine verspürte plötzlich den Drang, sich bei ihr zu entschuldigen und ihr zu versichern, daß sie immer noch geliebt wurde. Schließlich fuhr sie zu Selfridges, wo sie nicht schnurstracks in die Abteilung für Damenbekleidung ging, sondern sich plötzlich in der für Herrentoilettenartikel wiederfand. Ziellos nahm sie ein After-shave in die Hand, roch daran und stellte es wieder hin. Sie nahm das nächste. Dann das nächste. Sie schlenderte weiter und ging von Auslage zu Auslage, bis sie eine Flasche in der Hand hatte, daran roch und beinahe in Ohnmacht gefallen wäre. Alle Lust und alle Begierde der letzten Nacht stürzten wieder auf sie ein. Sie roch noch einmal an der Flasche, saugte den Duft ganz tief ein, die Augen geschlossen bei der Erinnerung. Ein Rausch! Und wieder. Sie spürte seine Haut, die Erregung, die sich in ihr aufgebäumt hatte wie ein Tier im Käfig, seine zärtlichen, bewundernden Blicke. Sie öffnete die Augen und las das Etikett. Davidoff For Men. Das also benutzte Joe Roth. Die Versuchung, eine Flasche zu kaufen, war mächtig, aber es
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