Pusteblume
Hoffnung.«
Amy gab einen leisen, bekümmerten Laut von sich, und Joe hob verärgert an: »Moment mal –«
Aber während alle anderen ungläubig zusahen, kehrte Katherine sich von Joe ab und wandte sich, wie eine Blume der Sonne, Lorcan zu.
74
S ie hatte ihm noch nie widerstehen können, und jetzt war nicht der Moment, damit anzufangen. Sie war fast neunzehn gewesen und hatte in einer Bar in Limerick gestanden, wo sie sich mit einer Kollegin unterhielt, als Lorcan sie erblickte. Er war gelangweilt und auf der Lauer, wie eine Katze, die eine Weile keinen Vogel gefangen hatte, und plötzlich verflüchtigte sich das Gefühl der Leere. »Sieh dir die süße Kleine da an«, sagte er zu seinem Freund Jack.
»Sie sieht nicht aus wie dein Typ«, entgegnete Jack überrascht.
»Sie ist ein Mädchen«, erklärte Lorcan, »das ist mein Typ. Gib mir Rückendeckung, ich wage einen Vorstoß.«
Als Delores, ihre Kollegin, zum Zigarettenholen ging, hörte Katherine plötzlich hinter sich eine sanfte, schokoladendunkle Stimme, die fragte: »Hat es weh getan?«
Verblüfft drehte sie sich um. Und blickte in das Gesicht des schönsten Mannes, den sie je in ihrem – zugegebenermaßen behüteten – Leben gesehen hatte. Er lehnte an der Theke, den Ellbogen aufgestützt, lächelte auf sie hinunter und brachte ihr Gesicht mit seiner offenen Bewunderung zum Lodern. »Hat was weh getan?«
Er sprach nicht gleich, sondern ließ den Blick aus seinen sherrybraunen Augen auf ihr ruhen. »Als du vom Himmel gefallen bist.«
Sie errötete und überlegte, ob dies als Anmache galt. Wenn ja, dann war es das erste Mal für sie. »Ich bin nicht vom Himmel, ich bin aus Knockavoy.« Sie hatte immer schon gewußt, daß sie nicht besonders schlagfertig war, trotzdem war sie bitter enttäuscht von ihrer Antwort.
Aber Lorcan lachte. »Das finde ich gut. ›Ich bin nicht vom Himmel, ich bin aus Knockavoy.‹ Das gefällt mir.«
Ein nicht benennbares Wohlgefühl durchströmte Katherine.
»Wie heißt du?« fragte Lorcan sanft.
»Katherine. Katherine mit K«, fügte sie mit einer solchen Ernsthaftigkeit hinzu, daß er bezaubert war.
»Und ich heiße Lorcan. Lorcan mit L.«
Sie kicherte. »Es könnte wohl kaum Lorcan mit K sein. Es sei denn«, fügte sie nachdenklich hinzu, »das K wäre stumm.«
Dann kicherte sie wieder, und Lorcan sah ihre kleinen weißen Zähne, ihre frische Haut ohne eine Spur von Make-up, ihr glattes, glänzendes Haar, ihre mädchenhafte Selbstsicherheit, und spürte den altbekannten Rausch. Er wußte, daß er die Sache vorsichtig beginnen mußte, weil sie diese Reinheit, diese Sauberkeit ausstrahlte. Nicht nur in ihrer Erscheinung, sondern auch in ihrem Verhalten: kein kokettes Senken der Augenlider, keine Doppeldeutigkeiten, kein flirtendes Schmollen. Er fühlte sich von der Aura ihrer Tugendhaftigkeit mächtig angezogen. Und verspürte den Wunsch, sie zu beschmutzen.
»Erzähl mir doch, Katherine mit K, wie hat es dich nach Limerick verschlagen?«
»Ich mache eine Lehre als Buchhalterin«, sagte sie stolz.
Es gelang ihm, einen interessierten Eindruck zu machen und sie darüber auszufragen, und sie erzählte vorbehaltlos die ganze Geschichte: daß sie sehr gute Noten in ihrer Abschlußprüfung erzielt habe, daß sie seit neun Monaten in Limerick lebe, welches Glück sie gehabt habe, einen Ausbildungsplatz bei Good and Eider zu bekommen, daß sie ein möbliertes Zimmer mit Kochgelegenheit habe, daß sie ihre besten Freunde aus Knockavoy, Tara und Fintan, vermisse, daß sie sie aber manchmal vom Büro aus anriefe und jedes zweite Wochenende nach Hause fahre.
»Warum kommen die nicht auch nach Limerick und suchen sich hier Arbeit?« fragte Lorcan mit großer Anteilnahme.
»Die haben zu Hause Arbeit im Hotel gefunden. Sie wollen Geld zusammensparen und ins Ausland gehen.«
»Na, hoffentlich kommen sie dich ab und zu besuchen.«
»Eigentlich nicht«, erklärte sie freimütig. »Meistens müssen sie nämlich Samstagabend arbeiten, und ich arbeite während der Woche, und abends muß ich lernen, es wäre also ein bißchen unsinnig…«
»Und die Leute in deinem Büro, sind die nett?«
»Ja, das schon.« Katherine ließ den Blick einen Moment schweifen und senkte dann die Stimme. »Sie sind nur ein bißchen alt.«
»Du hast also nicht so viele Freunde hier?«
»Nein, nicht viele, könnte man sagen.«
Trotzdem stellte Katherine ihn den alten Schachteln aus der Firma vor, mit denen sie in der Bar war, und er mußte sich ewig
Weitere Kostenlose Bücher