Pusteblume
–
wie ihre Mutter war.
Die Mutter, von der sie sich ihr Leben lang mit aller Anstrengung unterscheiden wollte.
Neunzehn Jahre der Gottesfurcht und Ordnungsliebe, der gebügelten Kleider und gewissenhaft gemachten Hausaufgaben, der Pünktlichkeit und Tadellosigkeit hatten nichts bewirkt. Sie war sogar fast genauso alt wie ihre Mutter damals. Ihre Mutter war zwanzig gewesen.
»Erzähl es mir doch, bitte«, bedrängte Tara sie. Sie war sehr besorgt. »Ich weiß, daß es nicht leicht ist.«
»Nicht so schwer wie damals.« Katherine biß die Zähne zusammen. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich nicht schwanger sein wollte. Ich habe auf meinem Bett gelegen und auf meinen Bauch geguckt und hätte am liebsten geschrien. Ich wollte einfach die ganze Zeit schreien, Tara.«
»Warum?« Tara konnte kaum sprechen.
»Weil irgendwo da drinnen, so klein, daß ich es nicht sehen konnte, etwas mein Leben zerstörte. Ein kleiner Fremdkörper wuchs in mir und wurde größer. Nie habe ich mich so gefangen gefühlt. Es war, als wäre ich im Gefängnis, aber in meinem eigenen Körper. Und ich konnte nicht raus.«
Tara nickte unglücklich.
»Ich wollte meinen Bauch weghaben. Ich wünschte mir, das Mädchen im Zirkus zu sein, das in drei Teile gesägt wird und deren Mittelteil in einem Holzkasten beiseite geräumt wird. Ich wollte einfach, daß alles, was daran beteiligt war, weggenommen würde.«
Sie sah Tara an und hoffte verzweifelt, daß sie sie verstand. Dann erzählte sie ihr, daß sie manchmal an ihrer Haut gezerrt hatte, in dem unmöglichen Versuch, ihren Bauch loszuwerden, damit nur die nichtschwangere Katherine zurückbleiben würde.
»Hast du eine Abtreibung machen lassen?« fragte Tara sanft.
Abtreibung.
»Du weißt, daß ich nicht für Abtreibung bin, oder wenigstens nicht dafür war.« Katherine konnte Tara nicht in die Augen sehen, als sie sich daran erinnerte, daß sie in der Schule immer den Nonnen zugestimmt hatte, die erklärten, Abtreibung sei Mord und das Ungeborene habe ein Recht auf Leben. Aber all das war wie weggeblasen, als die schreckliche Angst sie überkam. Von dem Moment an, da Lorcan sie verlassen hatte, wollte sie eine Abtreibung machen lassen. Sie konnte keinen anderen Ausweg sehen, wenn ihr Leben nicht völlig ruiniert werden sollte. Sie wußte, daß sie im Fegefeuer schmoren würde, aber das kümmerte sie nicht. Sie war ohnehin schon in der Hölle.
Wenn sie nur das Kind wegmachen lassen könnte, würde sie einen Schlußstrich ziehen, und von dem Tag an würde sie sich bemühen, so gut wie möglich zu leben. Sie würde sich doppelt anstrengen, ein redliches und untadeliges Leben zu führen. Sie hatte andere unverheiratete Mädchen gekannt, die schwanger geworden waren, und sie hatten ihre Kinder bekommen und sie geliebt. Aber sie, Katherine Casey, war anders. Irgendwo, gar nicht so tief verborgen, war sie der Ansicht, daß Schwangerschaft die Strafe für Mädchen war, die ein ungezügeltes, hemmungsloses Leben führten. Und weil ihr Verhalten immer so vorbildlich gewesen war, dachte sie, es sei das Letzte, was ihr zustoßen könne. Das Letzte, was sie verdiente.
»Katherine…«, rief Tara sie sanft, »komm, sprich mit mir, Katherine.«
»Ich konnte keinem davon erzählen«, sagte sie. Die Stimme versagte ihr fast, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich habe mich so allein gefühlt.«
»Du hättest Fintan und mir davon erzählen können.«
»Das ging nicht, Tara, es ging nicht. Wenn ich es euch gegenüber zugegeben hätte, dann hätte ich es auch selber erkennen müssen. Ich wollte einfach, daß es vorbei war, und es war einfacher, diesen Teil meines Lebens zu vergessen, wenn nur ich davon wußte.«
»Gott, das ist ja schrecklich.« Tara war leichenblaß. »Du hast das also alles allein gemacht? – Aber du hättest es deiner Mutter erzählen können, die hätte dich nicht verurteilt.«
»Nein.« Katherine stimmte ihr bekümmert zu. »Sie hätte sich womöglich noch gefreut. Und dann hätte sie eine Abtreibung organisiert und mich vielleicht als leuchtendes Beispiel hingestellt.«
Aber Katherine hätte nie wieder die moralisch Überlegene spielen können. Es war schon schlimm genug, daß sie so wie ihre Mutter war, aber daß ihre Mutter davon
erfahren
würde…
»Was hast du dann gemacht?« fragte Tara behutsam. Sie war überzeugt, daß es wichtig für Katherine war, darüber zu sprechen.
Katherine seufzte tief und wappnete sich, in die Hölle der Vergangenheit zu
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