Pusteblume
blicken. »Ich hatte keine Ahnung, wie man eine … eine –«, auch jetzt noch konnte sie das Wort kaum aussprechen, »– Abtreibung organisiert. Ich wußte nur, daß es in Irland illegal war und daß ich nach England fahren mußte.«
Tara nickte verständnisvoll und hoffte, daß es nicht zu deutlich wurde, wie erschüttert sie von der Geschichte war: Wie Katherine – unter Übelkeit leidend, mit empfindlichen Brüsten, verängstigt und mit zweihundert Pfund in der Tasche – in den Zug nach Dublin stieg. Dort gab es eine Stelle, wo man ihr helfen würde. Wie sie sich des vollen Ausmaßes ihrer Lage und ihres Vorhabens kaum bewußt wurde. Wie sie ihre Gedanken fest auf die Zukunft gerichtet hatte, wenn sie von diesem Alptraum befreit sein würde.
Sie empfand es als entsetzliche Schmach, die Beratungsstelle zu betreten, und war überzeugt, daß jemand sie erkennen würde. Aber die Leute waren freundlich und verständnisvoll. Sie wurde von einem Arzt untersucht, der bestätigte, daß sie in der achten Woche schwanger war. Dann mußte sie ein Gespräch mit einer Beraterin führen, die ihr die Alternativen zu einem Abbruch erklärte. »Ich will das alles nicht hören«, hatte Katherine mit zugeschnürter Kehle gesagt. »Ich will einfach nur … es soll einfach nur weg … bitte.«
Die Beraterin nickte. Sie hatte das schon so oft gesehen, diese jungen Mädchen in entsetzlicher Panik und so verängstigt über das, was ihnen zustieß, daß sie keinen klaren Gedanken fassen konnten.
»Sind Sie sich ganz sicher?«
Als Katherine nickte, hatte die Beraterin sanft gesagt: »Also gut, in Liverpool gibt es eine Klinik, ich mache da jetzt einen Termin. Wann können Sie fahren?«
»Sofort.« Katherine versuchte, mit fester Stimme zu sprechen. »Sobald es geht.«
Die Beraterin hatte sie allein in dem winzigen Zimmer gelassen, wo sie auf der Stuhlkante saß und wartete. Nach einer Viertelstunde kam sie zurück und lächelte Katherine mit einer Wärme zu, die dennoch den Eisblock in Katherines Innerem nicht zum Schmelzen zu bringen vermochte. »Es ist alles vorbereitet«, sagte sie ruhig. »Ich habe die Einzelheiten hier aufgeschrieben. Heute abend um acht geht eine Fähre. Dann sind Sie um…«
Das Folgende war aus weiter Ferne an Katherines Ohr gedrungen: Züge, Stadtpläne, ein Taxi zur Klinik, die Rückreise, ein weiteres Gespräch mit der Beraterin. »Danke«, hatte sie sich sagen hören.
Den ganzen restlichen Tag lief sie durch Dublin, aber hinterher konnte sie sich daran nicht mehr erinnern. Da sie nichts weiter zu tun hatte, war sie viel zu früh am Hafen. Als sie in dem barackenartigen Warteraum auf der Bank saß, spürte sie plötzlich etwas Warmes, Feuchtes. Sie nahm ihre kleine Tasche und rannte zur Damentoilette, und dort stellte sie fest, daß sie blutete. Erst dann bemerkte sie den Schmerz.
Die Fähre fuhr ohne sie, und am nächsten Morgen, nun nicht mehr schwanger, stieg sie wieder in den Zug nach Limerick, aber das Gefühl, in einem Alptraum zu sein, dauerte an.
»Aber du hast keine Abtreibung machen lassen.« Tara versuchte, ihr die hellere Seite zu zeigen.
»Nein, aber ich hätte es getan«, sagte Katherine dumpf. »Und deswegen ist es genauso schlimm.«
»Das finde ich nicht.«
»Es fühlt sich so an.«
»Und dann bist du nach Knockavoy gekommen und hast nichts darüber sagen wollen«, erinnerte sich Tara. »Du warst so bitter. Jetzt verstehe ich, warum.«
»Dann habe ich an meinen Vater geschrieben«, erzählte Katherine weiter. Es machte jetzt nichts mehr aus, wenn sie den Rest auch noch preisgab.
»Und was hat der gesagt?« Tara versuchte, die Ruhe zu bewahren. Wenn der Vater Katherine so kurz nach der Sache mit Lorcan auch zurückgewiesen hatte, dann war es kein Wunder, daß sie Männern gegenüber so abweisend war.
»Er war tot«, sagte sie schlicht. »Er war sechs Monate und sechs Tage vorher gestorben.«
»Und wie hast du dich dann gefühlt?«
Katherine zögerte und versuchte, die richtigen Worte zu finden. »Ich wollte auch sterben.«
Tara stieß erschrocken den Atem aus.
»Dann sind wir nach London gezogen, und ich habe eine katastrophale Affäre nach der anderen gehabt, und jetzt das hier.«
»Aber ich habe auch eine katastrophale Affäre nach der anderen gehabt«, entgegnete Tara.
»Aber nicht so wie ich.«
Dem mußte Tara zustimmen. »Es muß damit zu tun haben, daß du das mit deinem Vater gleich nach der schrecklichen Sache mit Lorcan erfahren hast.«
»Kann sein.«
»Gott
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