Pusteblume
nicht?«
»Warum gehst du nicht? Du hast so was noch nie gemacht.«
»Ich kann Joe nicht gegenübertreten.«
»Warum sprichst du nicht mit ihm? Du bedeutest ihm so viel!«
»Bitte, Tara.«
»Und warum gehst du nicht raus? Seit Samstag bist du nicht aus dem Haus gegangen.
»Oh, bitte, Tara, bitte, bitte«, flehte Katherine mit einer Eindringlichkeit, die Tara einen Schrecken einjagte.
Tara hatte keine Ahnung, was mit Katherine los war, aber es machte ihr große Angst. Katherine zeigte der Welt ein weißes, unbewegtes Gesicht, aber es war deutlich, daß unter der Oberfläche die Kämpfe tobten. Tara wollte sie nicht allein lassen. Es konnte alles mögliche passieren. Obwohl sie sich keine Gründe dafür denken konnte, hatte sie halb die Befürchtung, daß Katherine Selbstmord begehen könnte. Irgendwas war völlig in Unordnung geraten. Es hatte am Samstagabend angefangen, und Joe war offensichtlich nicht die Ursache dafür. Er war einfach ein unschuldiger Dritter.
»Bitte, Tara.«
»Also gut.« Sich so hilflos zu fühlen war ihr unerträglich.
An dem Tag rief Tara mindestens ebenso häufig bei Katherine an wie Joe. Als sie nach Hause kam, hatte Katherine sich zum Ausgehen fertiggemacht, die Haare gefönt und Make-up aufgelegt.
»Gehst du weg?« fragte Tara in der verzweifelten Hoffnung, daß Katherine sich mit Joe treffen würde.
»Nein.«
»Oh. Schön, daß du dich für mich so fein herrichtest.«
»Ha ha.«
»Selber ha ha.«
Sie verbrachten den Abend in angespannter Stimmung, sahen ohne große Lust fern und taten so, als ob das Telefon nicht alle halbe Stunde klingelte und Joe weitere Nachrichten auf Band sprach.
Immer wieder sah Tara Katherine von der Seite her an. Der Eindruck von gespannter Erwartung, der von ihr ausging, zusammen mit dem perfekten Make-up und der sorgfältig zurechtgemachten Frisur, wiesen auf etwas hin. Als
Panorama
zu Ende war, fiel es Tara plötzlich wie Schuppen von den Augen. »Du wartest auf ihn, stimmt’s?«
Katherine drehte steif den Kopf. Angst stand in ihren Augen. »Hmmmm?« sagte sie nervös.
»Du wartest auf Lorcan, oder? Deswegen bist du nicht weggegangen. Er weiß deine Telefonnummer nicht, aber er weiß, wo du wohnst, und du hast Angst, er könnte kommen, wenn du nicht da bist.«
Katherine schwieg, und Tara wußte, daß sie recht hatte. Katherines verrücktes Verhalten brach Tara fast das Herz. Sie sprang auf und setzte sich neben Katherine. »Hör mir zu«, sagte sie mit großer Eindringlichkeit. »Sieh mich bitte an, Katherine, bitte!«
Langsam sah Katherine sie mit feindseligem Blick an.
»Du mußt zur Vernunft kommen«, sagte Tara bestimmt. »Dieser Lorcan war deine erste große Liebe. Den ersten vergessen wir nie. Du warst jung und ein bißchen naiv. Und er sieht außerordentlich gut aus, was die Sache erschwert. Ich bin mir sicher, es war ein großer Schock für dich, als er am Samstagabend plötzlich vor dir stand, und natürlich ist man danach aufgewühlt und verwirrt. Das ist jedem von uns schon passiert. Wenn mir Thomas jetzt über den Weg laufen würde, wäre ich sicher auch ganz durcheinander. Und das wäre auch in Ordnung. Aber nicht auf ewig, denn das Leben muß weitergehen. Und besonders für dich, denn du hast Joe.«
Bei Joes Namen huschte ein Flackern über Katherines Gesicht, dann verschloß es sich wieder.
»Komm schon, Katherine, es ist lange her. Schließ ab damit und laß es hinter dir. Das wäre jetzt das Richtige. Guck mal, ich habe Thomas überwunden. Wenn ich das kann, kann das jeder.«
»Thomas hat dich nicht geschwängert«, sagte Katherine, und ihre Lippen bewegten sich kaum. Tara ließ die Worte im Schweigen verhallen. Das saß. »Und Thomas war nicht verheiratet«, fügte Katherine mit tonloser Stimme hinzu.
»Willst du mir sagen…?« Tara konnte nicht weitersprechen, als ihr die Bedeutung der Worte richtig klar wurde. »Du warst von Lorcan schwanger? Und er war verheiratet? Als du neunzehn warst?«
Katherines tote, erloschene Augen sprachen Bände.
»Oh, mein Gott, Katherine! Warum hast du denn nichts gesagt!«
Katherine rang um Worte – einfach irgend etwas – und sah Tara stumm an. Wie konnte sie den Horror erklären, jung, allein und schwanger zu sein? Die Hölle, in die sie hinabgestiegen war? Der Schmerz, Lorcan gehen zu lassen und ihm nicht sofort hinterherzulaufen?
Und die schlimmste Wahrheit, die ihr erst ein paar Tage später dämmerte, daß sie – als Unverheiratete, schwanger von einem verheirateten Mann
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