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Pusteblume

Pusteblume

Titel: Pusteblume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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über dem Knie endeten.
    Aber Joe hatte sichere Anzeichen dafür entdeckt, daß darunter eine Frau steckte. Ein schwacher Abdruck auf dem maßgeschneiderten Rock deutete an, daß sie Strümpfe und Strapse trug und keine langweiligen Strumpfhosen. Der fehlende Gummizug, der sich sonst auf ihrem Unterleib abzeichnen müßte, bestätigte seine Vermutung. Manchmal, wenn er ihr gegenübersaß und sich tadeln lassen mußte, weil er seine Restaurantbelege nicht aufgehoben hatte, erahnte er einen Spitzenrand unter ihrer gestärkten weißen Bluse, woraufhin er beschloß, das nächste Mal wieder seine Belege zu verlieren. Und dies war der elfte Arbeitstag hintereinander, an dem er zu ihr ging und sich auf die Kante ihres Schreibtisches setzte.
    Er war groß – ungefähr ein Meter dreiundachtzig – und dazu schlank. Seine Kleider hingen lose an seiner hageren Gestalt und wirkten beiläufig und elegant. An dem Tag trug er schwarze Armeehosen und ein langärmeliges T-Shirt. Um ihn ansehen zu können, mußte Katherine sich so weit zurücklehnen, daß sie sich fast das Genick brach.
    »Morgen, Katie«, sagte er mit einem breiten Lächeln. »Was treibt Sie an einem Samstagmorgen hierher?«
    Katherine war sprachlos, daß er sie Katie nannte. Im Büro achtete sie auf eine deutliche, bewußte Distanz. Keiner nannte sie Kathy oder Kate oder Katie oder Kath oder Kit oder Kitty. Sie war für alle Katherine. Am liebsten wäre es ihr, man würde sie Ms. Casey nennen, aber sie wußte, daß sie damit zu weit ginge. Breen Helmsford bemühte sich sehr um ein unkonventionelles Image, zu dem Nachnamen nicht paßten. Selbst der Geschäftsführer der Agentur, Mr. Denning, bestand darauf, Johnny genannt zu werden. (Obwohl er eigentlich Norman hieß.)
    Nur die Putzfrau wurde mit Nachnamen angeredet. Sie war Kettenraucherin, hatte einen heiseren Husten und einen versteinerten Gesichtsausdruck. Sie beklagte sich bitter über die Unordnung. Alle lebten in Angst und Schrecken vor ihr und wagten es nicht, zu vertraulich mit ihr zu werden. Bestimmt war sie als Mrs. Twyford zur Welt gekommen.
    Katherine sah Joe mit ihrem furchteinflößenden Blick der Stufe vier an. Der, den dieser Blick unerwartet traf, erstarrte vor Angst. Der Blick war nur ein, zwei Stufen unter dem Medusenblick, und manchmal jagte sie sich selbst einen Schrecken ein, wenn sie ihn im Schlafzimmer vor dem Spiegel ausprobierte. Aber bevor sie ihm mit eisiger Miene mitteilen konnte, daß es niemandem gestattet war, eine Abkürzung ihres Namens zu benutzen, fragte Joe mit einem Zwinkern in seinen freundlichen braunen Augen: »Oh, Zahnschmerzen? Das ist schlimm! Oder haben Sie etwas im Auge?«
    »Weder noch«, murmelte Katherine und entspannte das zur Maske erstarrte Gesicht mit den zu Schlitzen verengten Augen und den gefletschten Zähnen.
    »Und warum sind Sie heute hier?« fragte Joe.
    »Normalerweise arbeite ich am Wochenende nicht«, sagte sie höflich und sah zu ihm auf, »aber das buchhalterische Jahr geht zu Ende, und ich habe viel zu tun.«
    »Ich bin hingerissen von Ihrem Akzent«, sagte Joe mit einem Lächeln wie ein Sonnenstrahl. »Ich könnte Ihnen den ganzen Tag zuhören.«
    »Ich fürchte, dazu werden Sie nicht die Gelegenheit haben.« Katherines Lächeln war eisig.
    Joe sah sie leicht konsterniert an, dann wagte er einen neuen Versuch. »Hat es einen Sinn, Sie zu bitten, mit mir zum Lunch zu gehen?«
    »Überhaupt keinen«, sagte sie kurz. »Warum lassen Sie mich nicht einfach in Ruhe?«
    »Warum ich Sie nicht in Ruhe lasse? Das kann ich Ihnen sagen. Wie ein weiser Mann einst sagte – Augenblick mal, wie hat er das genau gesagt…?« Joe starrte angestrengt in die Ferne. »Ach ja! ›Sie läßt mich nicht mehr los.‹«
    »Tatsächlich? Nun, in den Worten eines meiner Helden, des großen Humanisten Rhett Butler«, gab Katherine schlagfertig zurück, »sage ich darauf: ›Frankly, my dear, I don’t give a damn.‹«
    »Oh, sie ist grausam, so grausam«, stöhnte Joe und lief vor Katherines Schreibtisch auf und ab, als wäre ihm ein Dolch zwischen die Rippen gestoßen worden.
    Sie sah ihn mit geübter Verachtung an. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen, ich habe zu tun«, sagte sie und wandte sich dem Bildschirm zu.
    »Wie wär’s mit einem Drink nach der Arbeit?« fragte er munter.
    »Welchen Teil von dem Wort ›nein‹ verstehen Sie nicht? Das N, das E, das I oder das letzte N?«
    »Sie brechen mir das Herz.«
    »Gut.«
    Er starrte sie bewundernd an. »Sie sind die

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