Pusteblume
– schroffer, als es Taras Ansicht nach nötig war –, sondern wollte sie nur daran erinnern, die Rechnung für das Kabelfernsehen zu bezahlen. Nimm es nicht persönlich, versuchte sie sich zu beruhigen, so ist er eben.
Am Montagmittag ging Taras Abteilung traditionsgemäß in das italienische Schnellrestaurant um die Ecke. Es war das Eingeständnis, daß alle vom Wochenende einen Kater hatten. Ab halb elf, sobald die fettigen Bacon-Sandwiches vom zweiten Frühstück aufgegessen waren, fing man an zu überlegen, was man mittags essen würde.
»Gebratenes Brot, Rührei, Champignons, Tomaten, Würstchen, danach ein KitKat und ein Glas Cola«, verkündete Teddy, ohne den Blick von seinem Monitor abzuwenden.
»Pommes, zwei Würstchen, ein Omelette mit Käse und Zwiebeln, Karamelpudding und eine Tasse Tee mit drei Löffeln Zucker«, hörte man die Stimme der schlanken Cheryl hinter der Trennwand.
Cheryl war ein Jahr in Vinnies Team gewesen, und obwohl sie jetzt in Jessicas Team arbeitete, hatte sie die Verbindung zu Vinnie nicht abbrechen lassen.
»Vier Würstchen, vier Spiegeleier, Champignons, Tomaten, Bacon, eine doppelte Portion Pommes, sechs Scheiben Brot mit Butter und eine Lucozade-Sport«, sagte Ravi.
Um halb eins, pünktlich wie ein Uhrwerk, stellten alle ihren Bildschirmschoner ein, zogen sich die Mäntel über und gingen geschlossen zu Cafolla rüber. Einer mußte immer für den Notfalldienst zurückbleiben und die Telefonanrufe der Kunden entgegennehmen, deren Computersystem soeben zusammengebrochen war. Jeder kam einmal an die Reihe, und an jenem Montag traf es den dösigen Steve. (»Dösig« wurde er genannt, weil er sich häufig nach der Arbeit vollaufen ließ, im Zug nach Watford, wo er wohnte, einschlief und erst in Birmingham, am Endbahnhof, wieder aufwachte.) Mit dunklen Ringen unter den Augen sah er dem Auszug seiner Kollegen zu und fragte schüchtern, ob ihm jemand ein Sandwich mitbringen würde.
»Komm schon, Tara«, kommandierte Ravi mit der Stimme eines Sergeanten, »wir gehen!«
»Ich glaube, ich bleibe hier.«
»Ach«, sagte Ravi enttäuscht. »Wegen deiner blöden Diät? Du dummes Mädel. Also gut, geht ihr ohne mich, ich bleibe bei Tara.«
Sofort hatte Tara Schuldgefühle. Ravi war vielleicht nicht der Hellste, aber er hatte ein Herz aus Gold. Es war nicht fair, ihn von seinem enormen, fetttriefenden Lunch abzuhalten.
Außerdem hatte sie seit dem Aufstehen nichts gegessen, und sie wollte ohnehin nur einen Gemüseteller bestellen. Dazu kommt, sagte sie sich, daß ich nach der Arbeit zum Steppen gehe, und da falle ich glatt in Ohnmacht, wenn ich jetzt nichts esse. »Ist schon gut«, sagte sie zu Ravi, »ich komme mit.«
Sich mit den anderen um einen der kleinen, mit Resopal beschichteten Tische zu zwängen, einen Teller mit Pommes und dicken Bohnen in Tomatensoße zu verspeisen, dazu starken schwarzen Tee aus einer dickwandigen Tasse zu trinken versetzte Tara normalerweise in gute Stimmung. Aber heute trat diese Wirkung nicht ein. Am Telefon war Thomas kalt und kurz angebunden gewesen, und sie hatte wieder das Gefühl, daß ein Unglück über sie hereinbrechen würde.
Nach dem Lunch war es zur Gewohnheit geworden, daß die Männer sich im Pub nebenan ein Bier genehmigten, während die Damen blieben und etwas Süßes aßen. Während Mr. Cafolla die fettverschmierten Teller einsammelte, nahm er die Bestellungen auf.
Evelyn bestellte ein Stück Apfelkuchen.
Die schlanke Cheryl verlangte nach einem Karamelpudding.
»Und Sie, junges Fräulein«, fragte er Tara, als es schien, als wollte sie nichts, »was möchten Sie? Ein Vanillecreme-Törtchen?«
Sie wand sich. Dieser Mistkerl. Er kannte ihre Schwachstelle genau. Sie sollte widerstehen. Sie würde niemals abnehmen, wenn sie Vanillecreme-Törtchen aß. Aber sie konnte unmöglich nein sagen.
Als sie die steifgeschlagene gelbe Vanillecreme sah, die glänzende Oberfläche mit Muskat bestäubt, umrandet von knusprigem Teig, das Ganze in eine Aluminiumform eingebettet, erlebte sie einen Moment wahrhaftiger Glückseligkeit. Sekunden später, als das Törtchen nur noch der Erinnerung angehörte, brachen die Schuldgefühle über sie herein. Wie sie sich für ihre Schwäche haßte! Einen Augenblick überlegte sie, ob sie Mr. Cafolla um den Schlüssel zur Toilette bitten sollte, damit sie sich übergeben könnte. Doch jedesmal, wenn sie das versucht hatte, erzielte sie nicht den gewünschten Erfolg. Es lohnte kaum die Mühe. Sie konnte sich
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