Pusteblume
die übliche Behandlung, weil sie nicht die erforderliche Verabredung getroffen hatte. Sie nahm ihr Mobiltelefon aus der Tasche und wollte Katherine befehlen, die Tür zu öffnen, aber das Gerät funktionierte nicht, weil die Batterie leer war. »Mach auf, ich bin es«, rief Tara von dem winzigen Vorgarten aus und sah zu Katherines Fenster hoch.
»Laß mich rein, du blöde Ziege«, rief sie frustriert, »Ich weiß, daß du zu Hause bist, ich kann Licht sehen.«
»Hallo«, sagte eine Stimme hinter ihr. »Wollen Sie zu Katherine?«
Tara drehte sich um und sah jemanden – es konnte nur der arme Roger sein – mit dem Schlüssel zur Haustür gehen.
»Ja.« Tara konnte ihm kaum in die Augen blicken, weil sie an die anderen Male denken mußte, als Roger mit dem Besenstiel an die Decke geklopft und Tara betrunken gebrüllt hatte: »Laß doch den Quatsch, du alter Trottel.«
»Danke«, sagte Tara verlegen zu Roger und rannte an ihm vorbei zu Katherines Tür, trommelte dagegen und rief: »Mach auf!«. Katherine öffnete gelassen die Tür. Sie trug ein kurzes seidenes Nachthemd und einen dazu passenden seidenen Morgenmantel, der aufsprang und ihre glatten weißen Beine zeigte. Sie strahlte Wohlgefühl aus, aber Tara war zu erregt, um es zu bemerken.
»Hallo«, sagte Katherine mit einem strahlenden Lächeln. »Wie bist du reingekommen?«
»Der arme Roger hat mich reingelassen.«
»Armer Roger«, sagte Katherine. »Ich muß mich irgendwann mal bei ihm entschuldigen, weil es hier immer so laut ist. Was ist los? Warum hast du versucht, meine Tür einzuschlagen?«
»Ich dachte, du würdest mir nicht aufmachen.«
»Warum sollte ich dir nicht aufmachen?« fragte Katherine, wieder mit einem Lächeln. Sie hatte wunderhübsche Füße, klein und zierlich, und die Zehennägel waren mit einer irisierenden Farbe bemalt. Doch warum sie sich überhaupt die Mühe machte, ihre Zehennägel zu bemalen, begriff Tara nicht. Ihr wären ihre Zehennägel egal, wenn sie keinen Freund hätte. Sie kümmerte sich selbst jetzt nicht um sie, da sie einen Freund hatte.
Tara war merkwürdig getröstet von dem Anblick von Katherines flinken Füßen, als die ihr voran über den dicken Teppich ins Wohnzimmer ging und sie fragte, ob sie ein Käsesandwich möchte.
»Weiche von mir, Satan«, sagte Tara. »Ich möchte nur eine Tasse Tee. Ich könnte zwar den Arsch einer Nonne durch das Klostertor essen, aber ich bitte dich trotzdem, mir nichts zu essen anzubieten.«
Bei Katherine hatte sie nichts zu befürchten. Es bestand kaum die Gefahr, daß Katherine ein kalorienreiches, fetthaltiges Abendessen vorbereitet hatte, das Tara aus Höflichkeit mit ihr teilen mußte. An den meisten Abenden gab Katherine auf die Frage, was sie zu Abend essen würde, die vage Auskunft: »Weiß noch nicht, Toast vielleicht.« Während Tara eine Woche im voraus wußte, was sie essen wollte.
»Ich setze Wasser auf«, sagte Katherine.
Die Tüte Erdnußflips auf dem Kaminsims war schon seit dem Vorabend da. Tara erinnerte sich genau, sie dort gesehen zu haben. Wie konnte Katherine eine ganze Tüte mit Erdnußflips stehenlassen, ohne sie anzurühren? Sie selbst hätte kein Auge zugetan. Auch jetzt konnte sie sich nicht bremsen. In Tuchfühlung mit Eßbarem zu sein, ließ ihre Entschlüsse dahinschwinden. Außerdem hatte sie ihren Fitneßkurs versäumt, der Schaden war also schon längst angerichtet. In dem Moment, da sie nach der Tüte greifen wollte, kam Katherine wieder ins Zimmer.
»Nein«, schrie Katherine, und Tara zuckte zurück.
»Leg die Tüte sofort wieder hin!« brüllte Katherine quer durch das Zimmer. Dann formte sie mit den Händen vor dem Mund einen Trichter und rief: »Ich wiederhole. Leg. Die Tüte. Hin.«
Tara erstarrte. Sie war völlig verdutzt angesichts Katherines untypischer Lautstärke.
»Hinlegen«, brüllte Katherine. »Auf den Boden. Ganz ruhig. Keine faulen Tricks.«
Langsam legte Tara die Tüte auf den Boden neben sich. Dieser Ton ist ganz ungewöhnlich für Katherine, dachte sie verwirrt.
»Okay«, sagte Katherine. »Hände auf den Kopf.«
Tara gehorchte »Jetzt gib der Tüte einen Tritt in meine Richtung.«
Die Zellophantüte glitt über den Teppich, und Katherine packte sie und grinste breit.
»Danke«, sagte Tara. Sie lachten beide – Tara fast hysterisch, während Katherine vor Lebensfreude überschäumte.
»Das war knapp.«
»Du solltest dir dieses Zeug nicht kaufen, wenn du glaubst, du bist zu dick«, schimpfte Katherine
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