Pusteblume
umher. Ich kann nicht glauben, daß er so leicht aufgibt! Einfach so! Gestern war er noch wild nach mir! Ich sei der Sonnenschein in seinem Leben, hat er gesagt!
Immer wieder sah sie zu ihm hinüber, beobachtete ihn. Falls er es sich noch überlegte. Zufällig sah sie, wie er sich das Jackett auszog, die Krawatte lockerte und die Ärmel hochkrempelte. Katherine konnte ihren Blick nicht abwenden, obwohl es gegen ihren Willen war. Die Haare auf seinem Unterarm, die glatte Haut darunter, die Muskeln, die sich jedesmal, wenn er den Hörer aufnahm oder mit der Maus etwas anklickte, bewegten, die breite Uhr um sein Handgelenk – an seinem Arm war nichts Schwächliches.
Das regte sie wirklich auf. Er tat so, als hätte man von ihm nichts zu befürchten, als wäre er zu dünn, um ein Macho zu sein. Er war zwar dünn, aber er hatte Kraft. Diese Arme waren die eines Mannes mit Sex-Appeal… O nein! Ihr kommt sofort wieder unter Verschluß, tadelte sie ihre aufsässigen Gefühle, hinter Gitter!
Als sie abends ihre Sachen zusammenpackte, sprachen Joe und sein Team davon, in den Pub zu gehen. Davon, daß man sich dem Hund wieder nähern sollte, der einen gebissen hatte, und so weiter.
Sie hörte Joe rufen: »He«, und sah auf. Endlich, dachte sie. Und stellte sich darauf ein, sich bitten zu lassen. Aber Joes Blick überging sie und wanderte weiter. »He, Angie«, rief er wieder. »Kommst du noch einen trinken?«
Katherines Magen zog sich zusammen. Angie war Texterin. Sie war zierlich und dunkel und hübsch und so neu, daß sie noch nicht, gemäß ihrer sexuellen Vorlieben, umgetauft worden war.
»Gute Idee.« Angie lächelte.
Katherine wartete, daß Joe sie auch fragen würde, aber sein Schweigen war deutlich.
Sie schob eine Diskette in den Computer, um ihr Tagewerk abzuspeichern. Mit kaltem Frohlocken verschloß sie ihr Herz. Joe Roth war ein Drecksack. Es würde ihr nicht leid tun, daß sie ihn abgewiesen hatte! Er hatte nicht lange gebraucht, um darüber hinwegzukommen. Offensichtlich waren zierliche, schmale Frauen sein Typ, und jetzt wandte er sich einer anderen zierlichen, schmalen Frau zu, einer neuen.
Mit Katherine hatte er nur sein Spielchen getrieben, und in dem Moment, da ihr Interesse geweckt war, hatte er sich von ihr abgewandt und sie mit frischen Wunden sitzengelassen. Er wollte sie nur, weil sie nicht verfügbar war. Männer waren wie die Kinder – immer schien das Gras woanders grüner.
Sie war noch einmal davongekommen.
Sie beendete den Speichervorgang und warf die Diskette in die Schublade. Als sie zum Aufzug kam, standen die anderen davor. Joe lachte über etwas, das Angie gesagt hatte, und beugte seinen Kopf weit vor. Katherine wollte umkehren, aber das wäre zu schmerzlich gewesen. Mit eisiger Miene fuhr sie nach unten, zusammen mit dem fröhlichen Völkchen, das davon sprach, daß alle nach einem Bier lechzten.
»Warum kommst du nicht mit?« sagte Myles zu Katherine, weil er hoffte, Joe aufzuheitern. Im nächsten Moment bedauerte er es. Wenn sie nun ihn der sexuellen Belästigung bezichtigte?
»Nein, ich glaube nicht«, murmelte sie und wartete, daß Joe sich einmischen und sie überreden würde. Aber er sagte nichts, und sie schäumte insgeheim vor Wut. Oberflächlicher Bock. Als sie aus dem Lift trat, sagte sie: »Viel Spaß!« über ihre Schulter und wunderte sich, daß sie daran nicht erstickte.
Mittwochs ging Katherine normalerweise zum Steptanz. Da konnte sie alles vergessen, während sie mit sechs anderen Frauen in ausgefransten Shorts zu der Musik von »Happy Feet« herumhüpfte und sich Phantasien von einer glücklichen Kindheit hingab. Sollten die anderen auf dem Weg zu ihren AerobicKursen doch grinsen, wenn sie einen Blick in ihren Raum warfen.
Nach der Stunde traf sie sich meistens mit Tara und Liv, und manchmal noch mit Fintan und Sandro. Aber an dem Tag wollte sie sofort nach Hause. Sie hatte nicht einmal Schuldgefühle, so bedrückt war sie, als sie sich in den Strom der Büromenschen einreihte, die zur U-BahnStation am Oxford Circus eilten. Aber auch das war unerträglich. Sie winkte ein Taxi herbei und hoffte, daß der Fahrer nicht gesprächig war. Doch das Schicksal hatte kein Erbarmen, und so mußte sie vierzig Minuten die Auslassungen eines faschistischen Fremdenhassers namens Wayne über sich ergehen lassen, der auf dem Armaturenbrett ein Foto von seinen drei dicken, häßlichen Kindern hatte und über jede Nation auf Erden Bescheid wußte: »Der letzte Dreck, sag ich
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