Qiu Xiaolong
vergessen.«
»Hören Sie, Genosse Yang, ich bin gerade am Weggehen, aber ich möchte gerne heute noch mit Ihnen sprechen. Sagen Sie mir, wo Sie jetzt sind.«
»Zu Hause, in der Nähe des Big World in der Huangpi Lu.«
»Gut. Ich muß noch etwas auf dem Jinling-Markt besorgen, das ist nicht weit von dort. An der Ecke Xizang Zhonglu gibt es ein Hunan-Restaurant. Ich glaube, den Yueyang-Pavillon. Wenn Sie in etwa einer Dreiviertelstunde da sein können, sehen wir uns dort.«
»Ist die Belohnung immer noch ausgesetzt?« fragte Yang. »Es ist doch schon eine Weile her. Ich habe erst gestern zufällig in einer alten Zeitung davon gelesen.«
»Doch, doch. Dreihundert Yuan und keinen Fen weniger. – Und Ihre Telefonnummer?« setzte Yu fast automatisch hinzu. »Ach, lassen Sie nur. Also, wir sehen uns dann, ich gehe jetzt los.«
Am Ausgang des Präsidiums stand der alte Pförtner Genosse Liang und überreichte Yu einen Umschlag. »Hier habe ich etwas für Sie.«
»Für mich.’’«
»Heute morgen hat Oberinspektor Chen die Unterlagen für seinen Auftrag erhalten. Ein paar Eintrittskarten und das Besuchsprogramm. Und ein paar Extrakarten, für den Fall, daß sich jemand noch in letzter Minute der Gruppe anschließen wollte. Es ist aber niemand gekommen, und daher hat er für mich zwei Karten für die Peking-Oper und für Sie zwei Karaoke-Karten dagelassen.«
»Das Amt für Auslandskontakte hat für das Besuchsprogramm der Amerikaner keine Kosten gescheut«, sagte Yu. »Das war sehr aufmerksam von Oberinspektor Chen.«
»Ja, Oberinspektor Chen ist ein sehr anständiger Mensch«, sagte Genosse Liang. »Sie sind sein Mitarbeiter, und Sie haben es mit Ihrer Arbeit wirklich gut getroffen.«
»Ja, ich weiß. Vielen Dank, Genosse Liang.«
Yu steckte die Eintrittskarten ein und beeilte sich, zum Restaurant zu kommen.
Das Gespräch mit Genosse Yang fiel fruchtbarer aus, als Yu erwartet hatte. Nachdem er den Zeugen über eine Stunde lang befragt und seine Aussage mit einem Mini-Kassettenrecorder aufgenommen hatte, fiel ihm eines der beliebten chinesischen Sprichwörter des Alten Jägers ein: »Das Netz der Gottheit hat große Maschen, aber es läßt nichts durchschlüpfen.«
Was war nun der nächste Schritt? Was immer Hauptwachtmeister Yu tun wollte, er mußte vorher Kontakt mit Oberinspektor Chen aufnehmen. Das war um so vordringlicher, als er die ganze folgende Woche im Verwaltungsbezirk Jiading stationiert sein würde.
Chen mußte etwas in Guangzhou herausgefunden haben, so wie Yu hier etwas entdeckt hatte, in den Gesprächen mit Jiang und Ning sowie eben durch die neuesten Informationen von Yang. Nur als Team konnten er und Chen hoffen, die Krise heil zu überstehen.
Doch es war nicht leicht, an Chen heranzukommen. Als Reiseführer der amerikanischen Schriftstellerdelegation mußte Chen die Gäste von einem Ort zum anderen begleiten. Außerdem war es riskant, im Hotel Jinjiang anzurufen, in dem Chen mit den amerikanischen Gästen wohnte.
Laut Bericht des Alten Jägers hatte man bereits einen »Fall« gegen Chen konstruiert. Auch Yus Kommen und Gehen wurde vielleicht überwacht. Wenn es Anzeichen gab, daß sie die Ermittlungen fortsetzten, konnten weitere Reaktionen erfolgen. Nicht daß Hauptwachtmeister Yu jedes Risiko gescheut hätte; nur konnten sich die zwei keine Fehler erlauben.
Es mußte eine Möglichkeit geben, die Lage mit Chen zu besprechen, aber so diskret, daß es keinen Verdacht erregte.
Das Licht in seinem Zimmer war gelöscht, als er zu Hause ankam. Er wußte, daß es schon nach zehn war. Qinqin mußte früh aufstehen, um in die Schule zu gehen. Um sechs hatte Yu Peiqin versprochen, sofort zu kommen. Er hatte ein schlechtes Gewissen, als er die Tür hinter sich schloß. Zu seiner Überraschung war Peiqin noch wach. Sie hatte auf ihn gewartet.
»Du bist also wieder da«, sagte sie und setzte sich auf.
Er ließ sich auf einen Bambushocker fallen, um die Schuhe auszuziehen. Peiqin lief zu ihm, barfuß. Rasch kniete sie vor ihm nieder, um ihm zu helfen; ihr Kopf war auf gleicher Höhe mit dem seinen.
»Du hast doch noch nicht zu Abend gegessen, Yu?« fragte sie. »Ich habe dir etwas aufgehoben.«
Es waren gedünstete Reisbällchen mit Schweinehackfleisch und Gemüse.
Sie setzte sich zu ihm an den Tisch und sah schweigend zu, wie er aß.
»Ich bin spät dran, Peiqin. Es tut mir leid.«
»Du brauchst dich nicht zu entschuldigen. Ich hätte heute nachmittag nicht so gereizt sein sollen.«
»Nein,
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