Qiu Xiaolong
verlangte. Das Ganze wurde zu einem Problem. Sie muß ihn mächtig unter Druck gesetzt haben, aber daß er sich von seiner Frau hätte scheiden lassen, kam für Wu nicht in Frage.«
»Wieso nicht?«
»Seine Familie ist mächtig. Sie wissen doch, wer Wus Schwiegervater war? Liang Xiangdong, der Erste Sekretär der Hua-dong-Region.«
»Aber Liang ist während der Kulturrevolution gestorben.«
»Schon, aber es gibt da etwas, was Sie vielleicht nicht wissen. Wus Schwiegervater ist zwar tot, doch sein Schwager wurde Zweiter Sekretär der Provinz Anhui. Und seine Schwiegermutter ist noch putzmunter und sitzt in der Zentralen Disziplinarkommission der Partei in Peking.«
»Das wissen wir«, sagte Chen. »Wir kennen diese ganze Vetternwirtschaft und die Beziehungen der Prinzlinge. Sagen Sie mir lieber, wie Wu Xiaoming auf Guans Ansinnen reagiert hat.«
»Zuerst hat Wu einfach gelacht, hinter ihrem Rücken natürlich. Er scherte sich nicht drum. Vielleicht fand er es reizvoll – mal etwas Neues.«
»Wann wurde die Beziehung problematisch?«
»Bis zu dieser Fotositzung habe ich nichts gemerkt, ehrlich. Das war nach einer Party Ende Dezember. Bei dieser Party war Guan so wie immer, steif wie ein Bambusstecken, aber Wu gab ihr ein paar Becher Maotai zu trinken. Ob er sonst noch etwas in den Schnaps getan hat, weiß ich nicht. Jedenfalls war sie bald hinüber. Dann bat er mich, sie mit ins Schlafzimmer zu tragen. Dort fing er dann zu meinem Erstaunen an, sie auszuziehen. Sie merkte überhaupt nichts. Unschuldig wie ein weißes Lämmchen.«
»Hat er Ihnen gesagt, warum er Sie dabeihaben wollte?«
»Nein, er fing einfach an. in meiner Gegenwart Fotos von ihr zu machen – diese Bilder, Sie wissen schon. Er sagte sinngemäß: ›Wenn man sie nackt auszieht, ist die nationale Modellarbeiterin auch nur ein geiles Aas.‹ Es war nichts Ungewöhnliches für ihn – ich meine, daß er Aktfotos machte.«
»Und für Sie wohl auch nicht?«
»Na ja, so was war schon mal vorgekommen – ein- oder zweimal. Natürlich mit anderen Mädchen. Wu wollte, daß ich die Fotos mache, von ihm und dem Mädchen auf dem Bett. Aber in jener Nacht wollte Wu, daß ich mit Guan posiere, und das ist das Bild, das Sie kennen. Ich schwöre Ihnen, es war nur eine Pose. Sonst war absolut nichts.«
»Sie müssen ja ein wahrer Liu Xiawei des 20. Jahrhunderts sein!«
»Diesen Tugendapostel kenne ich nicht. Aber ich war wie vor den Kopf geschlagen. Vor diesem Abend hatte Wu uns noch eingeschärft, Guan nicht zu nahezutreten. Mit den anderen Mädchen hatte er nie so einen Wirbel gemacht. Bei denen war ihm das ganz egal.«
»Was glauben Sie: Was könnte der Grund für Wus Sinneswandel in jener Nacht gewesen sein?«
»Keine Ahnung. Vielleicht wollte Wu die Bilder haben, um Guan daran zu hindern, daß sie ihm Scherereien machte.«
»Und? Ist ihm das gelungen?«
»Keine Ahnung. Danach haben sie sich noch eine ganze Weile gesehen. Alles Weitere passierte erst einige Wochen nach der Fotositzung.«
»Und was war da?«
»Sie hatten Streit.«
»Auch das müssen Sie genauer erklären«, mahnte Chen. »Waren Sie Zeuge des Streits?«
»Nein, war ich nicht. Ich hab Wu zufällig kurz danach besucht. Wu war völlig außer sich.«
»Wann war das?«
»Anfang März, denke ich.«
»Was hat er gesagt?«
»Er war betrunken und fast besinnungslos vor Wut. Sie hatte ihm wohl irgend etwas Wichtiges weggenommen.«
»Etwas, das sie dazu benutzen konnte, ihm zu drohen?«
»Genau, Genosse Oberinspektor. Was es war, hat Wu mir nicht gesagt. Er sagte nur sinngemäß: ›Diese Sau glaubt, daß sie mich erpressen kann. Das soll sie mir büßen. Ich werd sie ficken, bis ihr Hören und Sehen vergeht!‹ Ja, es war irgend etwas, um ihn zu erpressen.«
»Hat er Ihnen gesagt, was er dagegen unternehmen wollte?«
»Nein. Aber er war mordsmäßig in Rage und fluchte wie ein Verrückter.«
»Und was passierte dann?«
»Dann kam er Mitte Mai eines Abends in meine Wohnung, um Bilder zu entwickeln; angeblich war mit seiner Dunkelkammer irgend etwas nicht in Ordnung. Er blieb die ganze Nacht in meinem Arbeitszimmer. Ich weiß noch, daß es Sonntagabend war, weil meine Frau sich darüber beschwert hat. Sonntags gehen wir nämlich immer früh schlafen. Einige Tage-später rief er mich an und wiederholte während des Gesprächs zwei- oder dreimal, daß der Abend, als er wegen seiner Fotoarbeiten zu mir gekommen war, der Abend des 10. Mai gewesen sei. Warum er dieses Datum so betonte,
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