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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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auch Fotos von allen zusammen, da haben Sie recht«, sagte er. »Und ein paar Reisende hätten wahrscheinlich auch Namensschilder getragen.«
    »Namensschilder – ja, möglicherweise«, sagte sie. »Falls sie in einer Gruppe reisten.«
    »Ich bin alle Alben durchgegangen«, sagte er und warf einen verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr. »Aber vielleicht mache ich es jetzt noch einmal.«
    »Und zwar so bald wie möglich.« Sie legte die geschälte Traube auf seinen Teller.
    Die Traube schimmerte grün, fast durchsichtig in ihren hübschen Fingern.
    Er griff über den Tisch hinweg nach ihren Händen.
    Sie schüttelte den Kopf, sah aus, als wollte sie etwas sagen, unterließ es jedoch.
    »Was ist los?«
    »Ich mache mir Sorgen um Sie«, sagte sie stirnrunzelnd und entzog ihm ihre Hand.
    »Warum?«
    »Sie sind völlig besessen von diesem Fall«, sagte sie leise und erhob sich. »Ehrgeiz ist nicht unbedingt schädlich, aber Sie gehen etwas zu weit, Genosse Oberinspektor.«
    »Nein, so besessen bin ich gar nicht«, sagte er. »Eigentlich haben Sie mich gerade an zwei Zeilen erinnert: Ich denke an deinen grünen Rock, und überall / überall wohin ich trete, setze ich meine Schritte ganz sanft auf das Gras.«
    »Sie brauchen sich nicht hinter diesen Zeilen zu verstecken«, sagte sie und machte sich auf den Weg zum Ausgang. »Ich weiß, wieviel Ihnen Ihre Arbeit bedeutet.«
    »Nicht soviel, wie Sie denken«, sagte er und ahmte ihr Kopfschütteln von vorhin nach. »Jedenfalls nicht soviel wie Sie.«
    »Wie geht es Ihrer Mutter?« Offenbar wollte sie das Thema wechseln. Schon wieder.
    »Gut. Sie wartet nach wie vor darauf, daß ich erwachsen werde, mich binde, sie zur Großmutter mache.«
    »Arbeiten Sie erst einmal daran, erwachsen zu werden.«
    Manchmal konnte Wang ziemlich sarkastisch sein, aber vielleicht war es auch nur Selbstschutz. Also lachte er bloß.
    »Was meinen Sie – sollen wir uns am Wochenende wiedersehen?«
    »Um uns noch ein wenig über Ihre Ermittlungen zu unterhalten?« neckte sie ihn gutgelaunt.
    »Ganz wie Sie wollen«, erwiderte er. »Aber außerdem wollte ich Sie gern zu mir zum Abendessen einladen.«
    »Ja, gerne, aber nicht dieses Wochenende«, sagte sie. »Ich seh mal in meinem Terminkalender nach. Ich bin zwar kein Gourmetkoch wie Ihr Überseechinese, aber ich bringe ein ganz ordentliches Sichuan-Gemüse zustande. Wie fänden Sie das?«
    »Klingt hervorragend.«
    Mit einem rätselhaften Lächeln meinte sie: »Sie brauchen mich nicht in mein Büro zu begleiten.«
    Also blieb er stehen, zündete sich eine Zigarette an und sah ihr nach, wie sie die Straße überquerte, wobei sie auf der Verkehrsinsel in der Mitte stehenblieb. Dort wandte sie sich nach ihm um. Ihr grüner Rock schmiegte sich an die langen Kurven ihrer Beine, ihr Lächeln erfüllte ihn überraschend mit einem Gefühl vollkommener Zufriedenheit. Sie winkte ihm noch einmal zu, dann bog sie in die Seitenstraße ein, die zum Wenhui-Haus führte.
    In letzter Zeit hatte er viel über die Zukunft ihrer Beziehung nachgedacht.
    Politisch gesehen war sie keine Idealfrau. Ihre Zukunft würde überschattet sein von der Flucht ihres sogenannten Ehemanns. Selbst nach einer Scheidung würde ihrer Akte dieser Makel anhaften. Dies hätte keine so große Rolle gespielt, wenn Chen nicht Oberinspektor gewesen wäre. Doch als »aufstrebender Parteikader« wurde jeder seiner Schritte von den Parteibehörden sorgfältig beobachtet, das wußte er genau. Auch einige seiner Kollegen wären nur allzu erfreut, wenn seine Karriere durch so eine Verbindung einen Knacks erhielte.
    Darüber hinaus war eine verheiratete Frau auch »kulturell nicht erstrebenswert«, selbst wenn sie nur auf dem Papier verheiratet gewesen war.
    Aber was hatte er davon, Oberinspektor zu sein, wenn er sich nicht einmal in die Frau verlieben durfte, die er mochte?
    Er warf seine Zigarette weg. Zu einer Entscheidung war er immerhin gekommen: Er würde zur Qinghe Lane gehen, anstatt mit dem Bus dorthin zu fahren. Er mußte über einiges nachdenken.
    Beim Überqueren der Verkehrsinsel setzte er seine Schritte sehr sanft auf das grüne Gras.

 
    12
     
    ES WAR ein schöner Morgen im Mai. Trotz der früh einsetzenden Hitze war die Luft angenehm frisch.
    Auf der Henan Lu standen die Autos Stoßstange an Stoßstange. Oberinspektor Chen bahnte sich einen Weg durch die lange Schlange und freute sich darüber, daß er zu Fuß unterwegs war. Überall wurde gebaut, immer neue Umleitungsschilder

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