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Qiu Xiaolong

Qiu Xiaolong

Titel: Qiu Xiaolong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tod einer roten Heldin
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Sinn: Polizisten seien wie Spielzeugsoldaten zum Aufziehen, sie eilten hierhin und dorthin, fuhrwerkten herum, drehten ihre Kreise, tagelang, monatelang, jahrelang, ohne etwas zu erreichen, und plötzlich stellten sie fest, daß sie zur Seite gelegt, in einem Regal verstaut worden seien, bis sie dann wieder neu aufgezogen würden.
    Dieser Fall hatte etwas an sich, das Chen umtrieb wie einen dieser Blechsoldaten, doch er konnte nicht sagen, was es war. Es schien jedoch etwas zu sein, was ihn über seine Eigenschaft als Polizist hinaus etwas anging.
    Plötzlich merkte er, daß er Hunger hatte. Im Riverside Cafe hatte er nur eine Tasse Kaffee getrunken. Er beschloß, dem kleinen Restaurant auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen Besuch abzustatten. Dort setzte er sich an einen Rattantisch auf dem Bürgersteig und bestellte wieder eine Portion fritierte Teigbällchen und dazu eine Schüssel Suppe. Die Suppe, garniert mit grünen Schnittlauchröllchen, kam sofort, doch die Teigbällchen ließen eine Weile auf sich warten. Hier gab es zum Fritieren nur einen einzigen großen, flachen Wok.
    Ein Polizist kann eben nicht täglich wichtige Ergebnisse erzielen, dachte er, und zündete sich eine Zigarette der Marke Päonie an. Tief sog er das Aroma, gemischt mit frischer Luft, in seine Lungen. Sein Blick fiel auf eine alte Frau auf der anderen Straßenseite, die nahe der Abzweigung zu einem Gäßchen stand. Mit ihren verkrüppelten Füßen wirkte sie fast wie eine Statue. Sie verkaufte Eis, das auf einem uralten Schubkarren verstaut war; ihr eingefallenes Gesicht war so wettergegerbt wie die Große Mauer auf den Postkarten. Sie trug eine rote Armbinde, auf der in der Kalligraphie des Vorsitzenden Mao zu lesen war: »Beste sozialistische mobile Dienstkraft.« Wahrscheinlich war sie nicht mehr ganz richtig im Kopf, denn sonst hätte sie diese uralte Binde nicht getragen. Vor fünfzig, vielleicht auch sechzig Jahren hatte sie vielleicht zu den hübschen jungen Mädchen gehört, die lächelnd mit nackten Schultern an den nackten Wänden gelehnt und unter dem verlockenden Licht der Gaslaternen Kunden geworben hatten.
    Und irgendwann wäre auch Guan so alt geworden, verschrumpelt, rabenartig, wie diese Straßenhändlerin, aus der Zeit und ihrer Umgebung herausgefallen, bindungslos, von ihren Mitmenschen kaum mehr wahrgenommen.
    Da fiel Chen auf, daß mehrere junge Leute vor dem Wohnheim herumlungerten. Sie schienen nichts Bestimmtes zu tun zu haben, standen mit verschränkten Armen herum, pfiffen unmelodisch, blickten den vorbeikommenden Fußgängern nach. Doch dann sah er den Anbau aus Holz und Glas, und ihm wurde klar, daß sie wahrscheinlich auf ein Telefongespräch warteten. Drinnen in der Bude nahm der weißhaarige alte Mann gerade ein Telefonat an und reichte den Hörer an eine Frau mittleren Alters weiter, die vor der Tür stand. Er legte ein paar Münzen in eine kleine Schachtel. Bevor die Frau ihr Gespräch beendet hatte, hob der Alte einen weiteren Hörer ab, doch diesmal schrieb er nur etwas auf ein Blatt Papier. Dann ging er aus seinem kleinen Büro zur Treppe und rief durch ein Megaphon etwas nach oben, wahrscheinlich den Namen eines der Hausbewohner, für den ein Gespräch hereingekommen war. Da es in Shanghai nicht genügend Privattelefone gab, war ein solcher öffentlicher Telefondienst die Regel. Die meisten Menschen erledigten auf diese Art ihre Telefonate.
    Das hatte auch Guan getan.
    Chen stand auf. Auf die fritierten Teigbällchen konnte er jetzt nicht warten. Er überquerte die Straße zum Wohnheim.
    Der alte Mann war wohl Ende Sechzig, sah dafür aber noch recht gut aus. Er war auch recht anständig gekleidet, und in seiner Stimme schwang die große Verantwortung mit, die er trug. In einem anderen Büro hätte er gut und gern ein hochrangiger Kader sein können. Zwischen all den Telefonen auf dem Tisch lag ein Buch, Geschichte von den drei Reichen, versehen mit einem Lesezeichen aus Bambus. Er blickte zu Chen auf.
    Oberinspektor Chen holte seinen Dienstausweis hervor.
    »Ich weiß schon, Sie ermitteln hier«, sagte der Alte. »Mein Name ist Bao Guozhang, doch die Leute nennen mich nur Onkel Bao.«
    »Onkel Bao, ich würde Ihnen gern ein paar Fragen über die Genossin Guan Hongying stellen.« Chen blieb vor dem kleinen Verschlag stehen, in dem kaum zwei Leute Platz gefunden hätten. »Für Ihre Unterstützung wäre ich dankbar.«
    »Genossin Guan war ein herausragendes Parteimitglied. Als Mitglied des

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